Wutwissenschaftler lehren Unis und Regierung das Fürchten – anderswo

In Österreich halten Wissenschaftler um Förderungen und Privilegien willen still, verharmlosen Universitäten selbst Plagiate und belohnen Vizerektoren, die den „akademischen Anstand“ verletzen.

Der Rücktritt des deutschen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg erfolgte nicht, weil der CSU-Superstar bezüglich seiner Dissertation gelogen und/oder betrogen hatte; nicht, weil seine Partei auf Anstand Wert und ihm diesen nahegelegt hat; nicht, weil die Öffentlichkeit in Deutschland ihn für sein Plagiat mit Liebesentzug bestraft hätte; auch nicht, weil er für Bundeskanzlerin Angela Merkel eine zu große politische Belastung geworden ist. Nichts davon, obwohl ein jeder dieser Punkte für den Rücktritt schon ausgereicht hätte. Dieser erfolgte, weil sich Merkel politisch selbst beschädigt hatte, als sie die politische Arbeit über die wissenschaftliche stellte. Sie habe zu Guttenberg doch als Verteidigungsminister geholt und nicht als wissenschaftlichen Mitarbeiter.

Danach erfolgte in Deutschland so etwas wie der Aufstand der Wutwissenschaftler, die das Kanzleramt in Berlin mit Protesten überschütteten. Man lasse sich die Herabwürdigung der Wissenschaft durch den Merkel'schen Vergleich nicht gefallen – schon gar nicht von einer ehemaligen Wissenschaftlerin.

Von der Empörung der Wissenschaftler drohte Merkel mehr politischer Schaden als von einem Verteidigungsminister ohne Doktortitel. Den galt es per Rücktritt zu begrenzen. Wie sehr die Affäre das weitere Schicksal der Regierungsparteien CDU/CSU beeinflussen wird, ist ungewiss.

Gewiss ist jedoch, dass Gleiches in Österreich nie und nimmer passieren würde. Damit sind nicht die Plagiate gemeint (im Gegenteil), sondern die Revolte in der Gemeinschaft der Wissenschaftler und ihre Auswirkungen auf Regierung und Politik. Wutwissenschaftler, die in den öffentlichen Raum stürmen, sind hierzulande undenkbar.

Bei der Abwägung zwischen öffentlicher Empörung und Schweigen zugunsten von Förderungen oder Privilegien siegt in Österreich mit Gewissheit immer das Stillhalten.

Und nicht nur das. Plagiatsverdacht oder -nachweis ist in Österreich karrieretechnisch keinesfalls schädlich. ÖVP-Politiker und Wissenschaftsminister Johannes Hahn konnte EU-Kommissar werden. An der Montanuniversität Leoben wurde Vizerektor Hubert Biedermann 2007 einstimmig wiedergewählt, obwohl ein Weisenrat festgestellt hatte, dass er in seiner Habilitation den „akademischen Anstand“ verletzt habe.

Über das Signal, das damit an Studenten und junge Wissenschaftler ausgegeben wurde, zerbrach sich die Uni-Spitze in Leoben nicht den Kopf. Vorsitzender des Universitätsrates: Hannes Androsch, Chef des Wissenschaftsrats und seit Neuestem zerfurcht vor Sorge um Schüler und Studenten. Diese sollen offenbar nicht auch noch mit akademischem Anstand belastet werden. In diesem Licht wirkt die Plagiatsschnüffelei bei Karl-Heinz Grasser derzeit kleinlich.

Der Grundsatz „Packelei schützt vor Plagiatstrafe“ gilt aber offenbar nicht nur in Österreich. Während sich alle über zu Guttenberg echauffierten, wurde kaum die Frage nach dem Verhalten der Universität Bayreuth und danach gestellt, welche Schwachstellen im akademischen System Schwindel überhaupt erst ermöglichen.

Wo und wie kann man Titel mit Arbeiten aus dem Computer anderer erlangen? Wo und wie kaufen oder durch Packelei und/oder Beziehungen erreichen? Das wären auch für Österreich drängende Fragen – trotz des traditionellen Kartells des Schweigens.


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Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2011)

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