Pädagogisch unkorrekte Notiz zu einer pädagogisch unkorrekten Bemerkung

Kein Platz mehr für das Kokettieren mit einer Watsche? Die pädagogisch ach so Korrekten machen es sich bei Pauschalurteilen mit dem Heben ihres Zeigefingers ein wenig zu leicht.

Im Zusammenhang mit der vorgesehenen und verhinderten Bestellung von Nikolaus Pelinka zum Büroleiter in der Generaldirektion des ORF war bemerkenswert, was der berühmte Vater dem berühmten Sohn über das Magazin „Falter“ in herzerfrischender Offenheit – ich meine das nicht ironisch – mitteilte: Sollte sein Sohn ernsthaft wagen, bei der Besetzung seiner ORF-Diskussionsrunden zu intervenieren, „dann hau ich ihm persönlich eine Watschen runter“.

Ich muss gestehen, dass ich den Rückzieher, den danach Vater Pelinka in einer seiner Kolumnen vollzogen hat (das mit der Ohrfeige sei ja nur symbolisch gemeint) gar nicht gern gelesen habe. Denn man spürte darin die geduckte Haltung vor dem erhobenen Zeigefinger der pädagogisch ach so Korrekten: „Auch in einer noch so hitzig und emotional geführten Debatte sollte das Kokettieren mit einer ,Watsche‘ keinen Platz haben. Diese Erziehungsmethoden sollten wir schon lange hinter uns gelassen haben.“

In der Tat. Es ist schon lange her, dass ich selbst erleben musste, dass meiner Mutter oder meinem Vater in heiligem Zorn die Hand ausgerutscht ist. Mein Vater verunglückte bei einem Einsatz als Feuerwehrmann tödlich, als ich acht Jahre war, zwei Jahre später starb auch meine Mutter (an gebrochenem Herzen? – Ich weiß es nicht).

Es war selbstverständlich, dass im Internat, in dem ich danach meine Mittelschulzeit verbrachte, jegliche Körperstrafe, selbst in der harmlosest denkbaren Form, verpönt war. Doch es drohten bei Fehlverhalten von Kindern unangemessen strenge Maßnahmen bis hin zur Verdammung aus der Anstalt, vor deren grausamer Härte sich alle fürchteten. Auf der einen Seite das Gewitter mit dem kurzen, reinigenden Schmerz, verbunden mit dem Wissen, dass gleich danach die Sonne wieder scheinen würde. Wohl auch deshalb, weil die Eltern das Entgleiten ihrer Hand sofort danach selbst insgeheim bedauerten. Und auf der anderen Seite die lang anhaltende Düsternis der bösen, peinigenden Unwetterstimmung, die man nicht vertreiben kann und bei der kein Ende abzusehen ist. Beides erlebt: kein Vergleich!

Es liegt im Wesen der Sache, dass Korrekturen, welcher Art auch immer, oft schmerzhaft sind. Ein Dasein ohne Schmerz ist undenkbar, doch es gilt zu unterscheiden: zwischen dem erträglichen und dem unerträglichen Schmerz. Den erträglichen Schmerz nehmen wir auf uns, weil wir, selbst wenn es uns nicht leichtfällt, in ihm einen Wink auf ein erstrebenswertes Ziel erkennen.

Der unerträgliche Schmerz hingegen wütet ziellos chaotisch in unserem Körper, will uns selbst zerstören, und wir versuchen mit allen Mitteln, ihm zu entkommen – wobei wir der Pharmazie unendlich dankbar sein dürfen, wie sie uns dabei hilft. Die Leberpunktion ist mit einem heftigen und gar nicht wünschenswerten Schmerz verbunden, aber er ist erträglich. Der Schmerz der schweren Gallenkolik hingegen ist unerträglich. Ebenso beides erlebt: kein Vergleich!

Auf der Skala zwischen dem erträglichen und dem unerträglichen Schmerz schlägt der Zeiger bei dem kurzen Donnerwetter meiner Eltern ganz links auf der Seite der Erträglichkeit an und bleibt dort haften. Denn ich stehe nicht an – mögen die mit aufdringlicher Heuchelei maßregelnden pädagogischen Eiferer dagegen wettern, was sie wollen –, noch Jahrzehnte nach ihrem Tod meinen Eltern dafür dankbar zu sein.


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Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker und Betreiber des math.space im
quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2012)

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