Lechts oder rinks, Moskau oder Kiew: Wo sind jetzt die Faschisten?

In der Ukraine drohe Antisemitismus und "rechte Gefahr", warnen die Linken. Doch ebendiese Gefahr droht eher in Russland - wo die Linken Verbündete sehen.

Sie erinnern sich: Auf dem Maidan standen noch die Barrikaden, eingehüllt in Wolken aus Tränengas. Kurz zuvor erst hatte es in Kiew Dutzende Todesopfer gegeben. Doch die Bürgerbewegung feierte, nach Monaten im eisigen Winter, ihren Sieg. Viktor Janukowitsch, der moskauhörige korrupte Autokrat, war gestürzt. Die Zukunft der Ukraine sollte demokratisch, westlich, rechtsstaatlich, europäisch sein.

Es war ein Moment, in dem der Maidan dringend fortschrittliche, menschenrechtliche Unterstützung aus Westeuropa gebraucht hätte. Doch da kam nicht viel. Speziell auf der linken Seite glaubten viele lieber der Propaganda aus Moskau: In Kiew, hieß es da, seien Rechtsradikale, Nationalisten, Faschisten am Werk. Um die „rechte Gefahr“ zu illustrieren, wurden Meldungen verbreitet, wonach die 100.000 ukrainischen Juden antisemitischen Attacken ausgesetzt seien, und sich zur Flucht bereitmachen würden.

Wie wir heute wissen (oder auch damals schon wissen konnten, wenn wir Josef Zissels, dem Vorsitzenden der jüdischen Verbände zuhörten), war das Unsinn. Nicht nur, dass die ukrainischen jüdischen Gemeinden die Maidan-Bewegung offensiv unterstützten. Der Übergangsregierung gehörten jüdische Bürgerrechtler ebenso an wie rechte Nationalisten – was die breite gesellschaftliche Koalition des Protests abbildete. Spätestens seit der Präsidentschaftswahl vom 25. Mai, bei der die beiden nationalistischen Kandidaten weniger als ein Prozent der Stimmen bekamen, ist klar: „Die Faschisten“ sind in der Ukraine nicht wichtiger als irgendwo in Westeuropa.

Wo aber lauert wirklich die „rechte Gefahr“? Die findet man eher nicht in Kiew, sondern in Moskau. Es ist kein Zufall, dass sich Rechtspopulisten, Rassisten und autoritäre Nationalisten aus ganz Europa immer öfter an der Seite Wladimir Putins wiederfinden – wie jüngst beim vom Schweizer „Tagesanzeiger“ enthüllten Treffen im Wiener Palais Liechtenstein. Was ihr Menschenbild betrifft, haben sie vieles gemeinsam. Ebenso teilen sie fast alle ihrer Feindbilder. Alexander Dugin, Putins Vertrauter, ist inzwischen einer der einflussreichsten Vordenker dieser Ideologie. Auch er war beim Wiener Treffen dabei. Er propagiert ein ethnisch homogenes, militärisch wehrhaftes Volk in einem starken „eurasischen Reich“, das sich einer autoritären Führung unterwirft. Spirituell lässt es sich von der Kirche anleiten, gesellschaftlich fügt es sich ins Kollektiv und folgt der Tradition.

Die logischen Feinde sind: Amerika, Liberalismus, Individualismus, Feminismus, Homosexualität. All das mache den Westen heute schwach, meint Dugin (und auch Putin). Folge man hingegen dem „Russischen Ich“, sei Russland allen anderen Völkern überlegen.

Wem das vertraut vorkommt – kein Wunder. Bei uns kennt man dieses Denken seit den 1920er-Jahren, es speist sich aus ähnlichen Quellen wie der Nationalsozialismus. Im gegenwärtigen Russland hat es den Vorteil, dass sich alte Linke und neue Rechte – Stalinisten, Neofaschisten, Militaristen, Kreml und Klerikale – darin wiederfinden können, und zwar alle gleichzeitig.

Erst wenn der ideologische Nebel verfliegt, wird deutlich: Antisemitismus gehört zu diesem Weltbild natürlich ebenfalls dazu. Petro Poroschenko, der neue ukrainische Staatspräsident, sei eigentlich Jude und heiße Walzman, erklärte Alexander Dugin dieser Tage in gewohnt dumpf-dreister Extremisten-Manier; „ein jüdischer Oligarch, der nicht die Westukraine, nicht den Osten und nicht den Süden, sondern keine einzige Region vertritt.“ Hier klingt das alte antisemitische Klischee vom „vaterlandslosen Gesellen“ an.

Erst ist der Maidan eine „antisemitische Bewegung“, und jetzt bringt diese auch noch einen „Juden“ an die Macht in Kiew? Man muss ein ziemlich verdrehtes Weltbild haben, um dieser Logik noch folgen zu können. Und man muss ziemlich verwirrt sein, wenn man als Linker dieses Weltbild teilt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2014)

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