Niederösterreich wählt: Die Welt kann dabei noch etwas lernen

Wahlbeobachtung und Demokratisierungshilfe für unterentwickelte Länder sind eine großartige Sache. Zumal man dafür manchmal gar nicht weit fahren müsste.

Machen wir uns diese Woche auf die Reise in ein schönes Land. Sanfte Hügel, satte Vegetation, gutes Essen und freundliche Einheimische soll es dort geben, musikalisches Talent und ausgezeichneten Wein. Außerdem, heißt es, sei dieses Land eine Demokratie. Zwar wird sein Oberhaupt „Landesvater“ genannt, was eher spirituell klingt – aber schauen wir doch einmal nach. Schicken wir Wahlbeobachter.

Ein erster neugieriger Blick in die Wählerlisten macht etwas stutzig. 1,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger dürfen nächste Woche wählen. Das sind 307.741, stolze 20 Prozent mehr als bei allen anderen Wahlen dort, etwa jenen zum Parlament.

Wie kann das sein? Hat die Bevölkerung so rasch zugenommen? Gab es Masseneinbürgerungen? Oder gar einen Krieg, in dem Landstriche annektiert wurden, wie neulich die Krim? Nein, beruhigt Niederösterreich. Es sei bloß so, dass viele mitwählen dürfen, die gar nicht hier wohnen, sondern von auswärts kommen.

„Hm“, sagen die Beobachter. So etwas kennen sie aus ethnischen Konflikten und von nationalistischen Bewegungen, die so ihren Machtanspruch auf umstrittene Gebiete manifestieren wollen. Kroaten aus der Herzegowina etwa können in Kroatien mitwählen, bosnische Serben in Serbien. Ungarns Premier lässt Rumänen und Slowaken an ungarischen Wahlen teilnehmen, wenn sie irgendwie ungarischer Abstammung sind.

„Nein, nein“, sagt Niederösterreich, hier gehe es bloß um Nebenwohnsitze. In diesem schönen Land dürfe man überall wählen, wo man sich angemeldet habe, auch zweimal oder öfter. Zweimal oder öfter? Die Beobachter reißen vor Schreck die Augen auf. „One man, one vote“– hat man hier etwa noch nie von der ersten, wichtigsten Grundregel der Demokratie gehört? Dass jeder Bürger exakt eine Stimme hat – und jede exakt gleich viel zählt?

Das dürfe man nicht so eng sehen, antwortet Niederösterreich. Manche Menschen, die wichtigsten zumal, können ihren Wirkungskreis eben nicht so leicht einschränken und sich für einen Ort entscheiden. Gehört man zur Mama, zur Lebensgefährtin, zum Patenkind? An all diesen Orten hat man ein Interesse daran, dass alles seine Ordnung hat und dass die Kirche im Dorf bleibt.

Außerdem gibt es noch den Ort mit der Musikschule, wo der Bub Klarinette lernt, den Ort mit dem guten Frühschoppen, die Jagd und die Angelhütte am Teich. Alles unverzichtbar für die Bestimmung des Lebensmittelpunkts in diesem schönen Land. Deswegen überall Anmeldung. Und überall Stimme.

Die Wahlbeobachter sind an diesem Punkt schon etwas ermattet. Nehmen sich die amtlichen Stimmzettel her. Wenigstens sie schauen anständig aus, Parteien stehen darauf, zum Ankreuzen, alles bestens. Doch die Niederösterreicher winken lässig ab. Gar nicht notwendig! Brauchen wir im Prinzip gar nicht! Kann eh jeder seinen eigenen von daheim mitbringen. 1,5 Millionen Zettel hat die ÖVP verschickt, 1,1Millionen die SPÖ, Zettel, auf denen gar keine Parteien stehen, sondern jeweils nur groß der Name des eigenen Kandidaten.

Ein Bild von diesem Kandidaten liegt eventuell noch dabei, damit man weiß, wie er ausschaut, und im Fall der ÖVP auch ein Bild vom Landesvater. So ein Niederösterreich-Zettel ist sehr praktisch. Da muss man gar nicht mehr überlegen, nichts ankreuzen, braucht keine Brille, Kuli muss man auch keinen dabeihaben, man steckt es einfach ins Kuvert, und fertig ist die Wahl.

„Und das soll ein amtlicher Stimmzettel sein?“, fragen die Wahlbeobachter entgeistert. „Nein“, grinsen die Niederösterreicher. Aber deswegen steht ja „Ersetzt den amtlichen Stimmzettel“ darauf. Falls also im Kuvert zusätzlich ein amtlicher Stimmzettel ist, mit womöglich einer anderen angekreuzten Partei, kann man ihn einfach wegschmeißen. Denn er wird durch den Niederösterreich-Zettel einfach ungültig. Ober schlägt Unter, oder?

Es ist halt nicht nur ein schönes Land, sondern ein gewitztes noch dazu...

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)

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