Lang fürchtete man „die Russen“, neuerdings bewundert man sie

Als Befreier waren sie nicht willkommen, als Besatzer verhasst, im Kalten Krieg waren sie der Feind. Unter Wladimir Putin sind sie plötzlich Vorbilder geworden.

Die Russen: Im kollektiven Gedächtnis Österreichs weckte dieses Wort jahrzehntelang keine allzu positiven Assoziationen. Dieser Tage, 70 Jahre nach der Befreiung, denkt man ja wieder öfter an sie. An die Soldaten der Roten Armee, wie sie damals Wien einnahmen: ausgemergelte, traumatisierte, heimwehkranke, vom jahrelangen Kämpfen erschöpfte Gestalten.

Zehn Jahre lang würden sie bleiben – man würde sie Besatzer nennen, und sich später vor allem an ihre Vergewaltigungen erinnern. Anders als die US-Soldaten brachten sie keine Kaugummis mit, und auch sonst keine verlockende Ahnung von der großen weiten Welt. Für viele von ihnen war es das erste Mal, dass sie aus Russland weg waren. Selbst die Trümmerlandschaft von Wien erschien ihnen luxuriös im Vergleich zu manchen verwüsteten Hungerdörfern daheim.

Sie bedienten sich: Tausende Klaviere und Radios, Millionen Paar Schuhe wurden in diesen Jahren via Heerespaketdienst heim nach Osten geschickt. Ein besonderes Statusobjekt, das nun endlich in greifbare Nähe rückte, war die Armbanduhr. „Uhra, Uhra, nix Kultura“ – dieser Spruch blieb in Ostösterreich als Erinnerung an die Russen hängen. Man jubelte, als sie endlich abzogen.

Nach 1955 sollte ihr Image nicht viel besser werden. „Die Russen“ – das Wort behielt seinen bedrohlichen Klang. Das einstige nationalsozialistische Zerrbild von den kulturlosen bolschewistischen Barbaren fügte sich geschmeidig in die neue Feindesrhetorik des Kalten Kriegs.

„Die Russen“, das stand nun für: Härte gegen andere und sich selbst. Ein Wirtschaftssystem, das seinen Erfolg in Kubikmetern und Tonnen maß, und alles niederwalzte, was im Weg stand. Eine Politik, die ihre Untertanen in Reih und Glied marschieren ließ, die ihre Ziele ohne Rücksicht auf Kollataralschäden verfolgte, und dreist im Lügen war. Während im Westen die Hippies und Antiautoritären aufwuchsen, wurde das Wort Sibirien zum Synonym für die Kälte autoritärer Systeme. Ein Ort, an den niemand je freiwillig hinwollte.

Und jetzt das. Der Westen hat den Kalten Krieg gewonnen, die Sowjetunion ist zusammengebrochen, samt der Roten Armee. Noch immer reist niemand freiwillig nach Sibirien. Doch die Russen sind wieder da – und zum ersten Mal in der Geschichte sind sie willkommen. In guten Jahren retten sie den österreichischen Skitourismus. Sie geben viel Geld aus. Wenn sie im Geschäft Schuhe sehen, die ihnen gefallen, zahlen sie bar.

Ironischerweise haben genau jene Zuschreibungen, vor denen man sich einst gefürchtet hat, die Russen plötzlich auch politisch attraktiv gemacht. Ein autoritäres Herrschaftssystem, klare Hierarchien: Das klingt übersichtlich – angesichts einer EU, von der viele Bürger immer noch nicht wissen, wie sie eigentlich funktioniert.

Eine unumstrittene Führungsfigur, die eiskalt durchzieht, was sie sich vornimmt: Das ist ein interessantes Kontrastprogramm zu westlichen Politikern, die stets den Eindruck vermitteln, es seien ihnen ohnehin die Hände gebunden – und selbst wenn sie etwas bewegen könnten, wüssten sie gar nicht, ob sie das überhaupt wollen.

Nationale Einheit, nationale Größe: Wie einfach, wie logisch das ist, wenn man es zum obersten Prinzip jeder Politik macht! Und wie gut fühlt es sich an, alles Abweichende einfach als krank oder abartig abzutun! In der westlichen Welt darf man das schon so lang nicht mehr!

Was Jahrzehnte sowjetischer Propaganda nicht geschafft haben – heute passiert es täglich: dass westliche Bürger, linke ebenso wie rechte, erwartungsvoll nach Moskau schauen, um die Wahrheit zu erfahren. Jene Wahrheit, die ihnen von ihren eigenen Medien, Bildungsinstitutionen und Politikern angeblich systematisch verschwiegen wird. Die Russen, so hoffen sie, werden sie aus Täuschung und Lüge befreien.

Es ist ein später Sieg. Ein Sieg, den die allermeisten Russen wohl selbst nie für möglich gehalten haben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Sibylle Hamann
ist Journalistin

in Wien.
Ihre Website:

www.sibyllehamann.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.