Wien, Wien, nicht nur ich allein

Eine Studie des „Economist“ kommt zu dem Schluss: Wien ist die lebenswerteste Stadt der Welt. Wie seltsam, dass sie erst jetzt draufkommen.

Als ich das erste Mal nach Wien kam, war ich 16 Jahre alt und frisch verliebt. Nicht in den Burschen, der mich unter einer Hütteldorfer Teppichklopfstange geküsst hatte, und das bei Mondenschein. Nein, in die Stadt. In die Griechengasse und das Belvedere, in den Burggarten mit dem Palmenhaus, in die Kärntner Straße, den Kohlmarkt und die Tatsache, dass sich überall architektonische Schätze fanden, sogar in der Linken Wienzeile. Jugendstil! Wahnsinn! Nur den Stephansdom, schwarz und klobig, fand ich hässlich.

Eine Woche war ich wie im Taumel, konnte kaum schlafen und ernährte mich fast ausschließlich von Weintrauben, die ich in der von Otto-Wagner entworfenen U-Bahn-Station kaufte, und von den Sachertorten im Café Diglas. Dort schrieb ich meinem Vater einen langen Brief, in dem, kurz zusammengefasst, stand: Ich werde in Wien studieren.

Was ich auch gemacht habe. Ich kam mit drei großen Kartons auf dem Westbahnhof an und eroberte die Stadt. Ich radelte den Ring entlang und verbrachte Nachmittage im Kunsthistorischen, kaufte auf dem Naschmarkt Gelbe Rüben (und bekam Gelbe Rüben, obwohl ich Karotten wollte), ich verplemperte Zeit im Rooseveltpark, und am Abend fand ich Gleichgesinnte im Nachtasyl, im Titanic oder im Café Einhorn, bevor ich nach Hause ging, 30 Quadratmeter mit Klo auf dem Gang, aber das war mir egal, solang die Wohnung in Wien stand.


Mit Kindern! So wurde aus der Verliebtheit langsam Liebe, die anhielt, als ich zu arbeiten begann, und noch einmal erstarkte, als wir die Kinder bekamen. Wien mit Kindern ist großartig! Die Sommer verbrachten wir an der Alten Donau, den Frühling und Herbst im Beserlpark ums Eck, später bauten die Kinder im Augarten ein Baumhaus. Sie lernten im Brigittenauer Bad schwimmen, in der Hauptbücherei lesen. Und ja, wir haben mit den öffentlichen Schulen gute Erfahrungen gemacht.

Seit ich das erste Mal die Füße in diese Stadt gesetzt habe, hat sich viel verändert. Wenn man heute von Wohnungen mit Klo auf dem Gang erzählt, ist das Folklore, zwei U-Bahn-Linien sind dazugekommen, die Züge aus dem Westen kommen jetzt auf dem Hauptbahnhof an, und im Burggarten darf man in der Wiese liegen. Wien ist viel heller geworden, hat sich herausgeputzt, sogar der Stephansdom ist, inzwischen renoviert, ganz ansehnlich. Und ich? Habe inzwischen viele andere Großstädte bereist. Ich kenne die U-Bahn in London, die öffentlichen Bäder in Paris, die Parks von Rom, habe Schneestürme in New York erlebt und ein Hunderennen in Barcelona. Immer wieder habe ich geglaubt, ich könnte mich wieder in eine Stadt verlieben, mich wieder so packen lassen.

Es war nie mehr das Gleiche.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2018)

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