Sie hat recht

Warum ich, wenn mir die Flüchtlinge so leidtun, nicht einen aufgenommen hätte? Ich sollte lieber spenden, statt auf die Politik zu schimpfen, meint eine Leserin. Sie hat recht.

Tatsache ist, wir lassen es uns gern gut gehen, mein Mann und ich. Bei Dingen, die uns wichtig sind, sparen wir nicht. Am Essen. Am Wein. An den Schuhen, also meinen. Wenn Marlene einen Sprachurlaub machen möchte, finanzieren wir den. Hannah braucht fürs Studium einen neuen Laptop? Kein Problem. Wir verreisen regelmäßig, nach Israel, London, Prag, wohin es uns halt so zieht, und jedes Jahr für mindestens zwei Wochen nach Italien, wo wir uns ein Appartement mieten, das auch nicht gerade billig ist.

Über Italien habe ich letzthin geschrieben und darüber, dass in dem wunderbar blaublauen Mittelmeer die Flüchtlinge zu Tausenden ertrinken. Wenn mir alle so leidtun, fragte mich daraufhin eine Leserin, warum ich dann einen Luxusurlaub mache? Ich sollte lieber spenden, anstatt über die Politik zu schimpfen. Sollte Flüchtlinge bei mir aufnehmen und sie versorgen. „Da Sie doch so ein guter Mensch sind.“


Erwischt. Erwischt, erwischt. Tatsächlich rede ich gern und tue wenig. Einen Wildfremden in unserem Wohnzimmer aufnehmen? Ich scheitere schon an viel leichteren Übungen! Ich gebe etwa, obwohl ich mir das fest vorgenommen habe, keinem Flüchtlingskind Nachhilfe – und das nur, weil die Initiative, die mir auf die Schnelle untergekommen ist, sich in Döbling trifft, und das ist mir zu weit weg. Ich wollte Spielsachen und Bücher bei einem Frauenhaus vorbeibringen, aber es war mir schon zu lästig, die Telefonnummer rauszusuchen. Und ich weiß genau, ich werde die 1500 Euro Kinderbonus nicht irgendeiner Familie geben, die das Geld im Gegensatz zu uns wirklich brauchte. Obwohl ich den Kinderbonus für sozial ungerecht halte, nehme ich ihn.

Ich wünschte, ich wäre anders.

Jetzt könnte ich natürlich antworten, dass ich Steuern zahle. Und wie jeder andere Steuerzahler habe ich so meine Wünsche, was mit diesem Geld passieren soll. Für Flüchtlinge und deren Kinder zahle ich zum Beispiel gern. Für Familien, die Mindestsicherung beziehen auch. Oder fürs Kindergeld der rumänischen Pflegerinnen. Und ist es nicht die wichtigste und nobelste Aufgabe des Staates, dort einzuspringen, wo wir Individuen versagen? Wo wir nicht ans große Ganze denken, sondern nur an uns? Wer sozialen Frieden will, kann sich nicht auf die Wohltätigkeit Einzelner verlassen, das hat noch nie geklappt.

Aber ich will mich nicht hinausreden: Liebe Leserin, danke für das Mail. Ich werde auch künftig keinen Flüchtling aufnehmen. Und ein wirklich guter Mensch werde ich vermutlich nie. Aber sobald ich aus Prag zurück bin, gehe ich das mit der Nachhilfe an. ?

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2018)

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