Spitzenleistungen

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Es hält sich hartnäckig die Meinung, dass man Kinder irgendwie fertig machen muss, damit sie Spitzenleistungen erbringen. Wieso eigentlich?

Stellen wir uns Dominic Thiem vor. Er hat gerade ein Match vermasselt, 2:6, 3:6. Er ist noch ganz benommen, da tritt sein Trainer zu ihm und brüllt: „Was war denn das bitte, hast du überhaupt nichts von mir gelernt? Glaubst du, du kannst so deinen Platz in der Weltrangliste halten? Also jetzt streng dich in Zukunft gefälligst an, so geht das jedenfalls nicht, ich trainiere doch keine Versager!“

Oder stellen Sie sich vor, Anna Netrebko passieren ein paar kleine Schlampigkeiten in Sachen Koloratur, und der Dirigent meint anschließend süffisant: „Sie bilden sich ja echt eine Menge auf Ihren Ausdruck ein, aber ich sage Ihnen: Das wird auf Dauer nicht reichen. Da drängen andere Sängerinnen nach, die singen fast genauso intensiv, aber sauberer. Überhaupt: Wann sind Sie gestern eigentlich ins Bett gegangen?“

Und stellen wir uns weiter vor, dass der Trainer oder der Dirigent, auf ihr Verhalten angesprochen, mit den Achseln zucken und meinen: „Also so etwas müssen die schon aushalten, schließlich geht es um Spitzenleistungen, da muss man die Leute manchmal ein bisschen anspornen. Autoritär sein gehört halt dazu.“


Blutige Zehen. Jetzt sind Anna Netrebko und Dominic Thiem Superstars, und keiner würde so mit ihnen umspringen. Was ihnen offenbar nicht schadet. Weil man nämlich Spitzenleistungen nicht deshalb erbringt, weil man gedemütigt oder beschimpft oder gezwungen wird. Sondern weil man etwas wirklich, wirklich will.

So sehr, dass einem alles andere egal ist. Der Bergsteiger quält sich trotz Erfrierungen auf den 8000er. Die Ballerina tanzt auf der Spitze und nimmt selbstverständlich blutig geschundene Füße in Kauf. Der Fußballer spielt mit seiner Knieverletzung weiter. Und das tut er nicht, weil er Angst hat, jemand könnte ihn sonst ein Weichei nennen.

Zur körperlichen Spitzenleistung gehören Selbstausbeutung, Disziplin, Verzicht, oft genug auch immense Leidensfähigkeit und Risikobereitschaft. Menschen, die einen fertig machen, gehören nicht dazu.

Das gilt für Superstars. Für Leistungssportler. Das gilt erst recht für Kinder. Und das schreibe ich jetzt, weil mir im Laufe der letzten Woche mehrmals die Meinung untergekommen ist, die Übergriffe an der Wiener Ballettakademie seien zwar nicht okay, irgendwie aber doch verständlich, schließlich müsse man die Kinder zu Spitzenleistungen motivieren. Angst motiviert nicht, jedenfalls nicht auf Dauer. Demütigungen schwächen. Beschimpfungen kränken. Niemand tanzt besser, weil er fett genannt wurde.

Kinder fertig zu machen, ist kein pädagogisches Konzept, das ist purer Sadismus. Mehr nicht.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2019)

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