Das war gehofft

Mein Mädchen ist 20 Jahre alt geworden und will ausziehen. Ja, ich unterstütze das. Nein, ich finde das nicht super. Aber ich habe schon eine Idee.

Also eigentlich haben wir gar nicht mehr richtig daran geglaubt. Immerhin redet Hannah schon seit zwei Jahren davon: dass sie ausziehen will. Mit Nina und Oliver eine WG gründen. Dass sie das Hochbett mitnehmen wird und einen neuen Schrank braucht. Aber immer wieder kam etwas dazwischen: Einmal plante Nina eine Weltreise, dann wollte Oliver in Graz studieren, und schließlich war es Hannah, die zögerte. All diese Prüfungen und Tests und Praktika nahmen sie so in Beschlag, wo sollte da Zeit übrig sein für einen Umzug? Irgendwann haben mein Mann und ich gewitzelt, sie würde wohl erst ausziehen, wenn sie den Master hat. Also eigentlich war das gar nicht gewitzelt. Das war gehofft.

Wie das so ist: Was lange angekündigt wird, kann manchmal schnell gehen. In den kommenden Tagen ist der erste Besichtigungstermin, Nina hat uns schon Fotos geschickt, begleitet von begeisterten Kommentaren, und die Bilder schauen wirklich okay aus: Die Wohnung wirkt hell, freundlich, die Zimmer sind annähernd gleich groß, zentral begehbar, und eine Küche und ein Bad gibt es auch. Spricht also nichts dagegen. Spricht alles dafür, dass unsere 20-Jährige sich selbstständig macht.


Und die Wäsche? Wir reagieren unterschiedlich. Mein Mann will darüber nicht sprechen. Wenn wir trotzdem darüber sprechen, wird er grantig. Ich fange an zu planen, weil ich das immer tue, wenn ich nicht genau weiß, was ich fühlen soll. Es lenkt mich ab und sorgt dafür, dass beizeiten jemand zur Hand ist, der das Hochbett abmontiert. Die Einzige, die sich wirklich freut, ist Marlene: Endlich bekommt sie ihr eigenes Zimmer, kann sie abends so viel Musik hören, wie sie will, und keine ältere Schwester wird ihr mehr sagen, wann sie das Licht abzudrehen hat. Ihre Freude ist so groß und so verständlich, dass sie mich mitreißt, und da macht das Planen richtig Spaß, wir überlegen schon, was wir mit den Regalen machen, die jetzt als Trennwände dienen, und dekorieren im Geiste schon alles um, was Hannah auch wieder nicht recht zu sein scheint. Noch wohnt sie hier!

Ansonsten ist Hannah überraschend cool. Die Veränderung scheint sie nicht zu schrecken. Weiß sie, dass sie bald selbst das Bad putzen und die schwarze Hose suchen muss, die „irgendwer“ verschmissen hat? Weiß sie, dass es nicht das Gleiche ist, am Wochenende mit ihrem Freund zu kochen und sich Tag für Tag selbst zu versorgen?

Wenigstens eine Ahnung hat sie. Denn als ich ihr sage, dass sie natürlich jederzeit zum Essen kommen kann – „Wirklich immer! Nina ist natürlich herzlich eingeladen. Und Lukas sowieso!“ –, da wirkt sie tatsächlich ein bisschen erleichtert.

Und ich bin es jetzt auch.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2019)

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