Porsche 911: Ein kleiner Griff in die Trickkiste sei erlaubt

Die Angst, der neue Elfer könnte sich dem US-asiatischen Kundengusto anbiedern, war unbegründet. Er ist strammer und definierter als der Vorgänger. Eventuell strittig: das bullige Heck mit Auspuff-Attrappen.
Die Angst, der neue Elfer könnte sich dem US-asiatischen Kundengusto anbiedern, war unbegründet. Er ist strammer und definierter als der Vorgänger. Eventuell strittig: das bullige Heck mit Auspuff-Attrappen.Werk
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Der einzige Sportwagen mit durchgängigem Stammbaum feiert seine achte Wiedergeburt: Der neue Porsche 911 kann natürlich (fast) alles besser, schneller und feiner als der Vorgänger. Doch auch Zugeständnisse sind zu machen.

Wer glaubt, die Nationalmannschaft hätte es nicht leicht mit ihren acht Millionen es besser wissenden Trainern im Land, hat sich noch nie in ein Porsche-Forum eingelesen. Jeder der selbst ernannten Chefingenieure, Rennstreckenprofis und Design-Gurus dort weiß, wie der nächste 911 unbedingt sein muss. Ein solcher Mix aus Eiferern und Gralswächtern findet sich nicht einmal im Vatikan.

Die große Entrüstung der Gemeinde dürfte nun aber doch ausbleiben. Der neue 911 hat nach wie vor sechs Zylinder im Heck, steht stramm und schnörkellos da wie selten zuvor – und ist immer noch ein fein gewuchtetes Sportgerät erster Güte.

Das Abwenden der Teilkastration um zwei Zylinder, wie beim Duo Boxster/Cayman vorexerziert, ist mit massivem Hightecheinsatz gelungen. Der 3-Liter-Boxer mit variablem Doppelturbo ist dabei sogar um je 30 PS und Newtonmeter erstarkt, atmet dafür aber jetzt partikelgefiltert aus. Sauber Gas geben gehört zum guten Ton – und umgekehrt. Leider liegt gerade da das vielleicht einzige Manko beim neuen Elfer: Seinem Soundtrack fehlt das Kehlige, er klingt ein bisschen reduziert und künstlich.

Versicherung zeichnet mit

Allerdings muss der Auspuff jetzt auch eine gute Handbreit Sicherheitsabstand zur Heckschürze lassen. Dort sind nun Chrom-Endstücke eingebaut, die nur so tun, als gehörten sie dazu. Doch das ist kein schändliches Blendwerk, sondern eine wohl notwendige Konzession an die Versicherungen, um Reparaturkosten und damit Prämien niedrig zu halten. Ja, jetzt reden auch schon die Assekuranzen in das Autodesign hinein.

Neu ist auch das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe, das es grundsätzlich ein bisschen ruppiger angeht als die bisherige Variante mit einem Gang weniger – Porsche erfüllt damit den allgemeinen Kundenwunsch nach mehr Sportlichkeit. Der Wahlhebel in der Mittelkonsole zu einem Stummel verkümmert, dem die manuelle Schaltfunktion abhandengekommen ist. Wer die Gänge selbst sortieren will, muss dafür nun mit den Alu-Schaltwippen am Volant vorliebnehmen.

Generell treffen sich im Cockpit Tradition und Moderne auf Augenhöhe: Der zentrale Drehzahlmesser ist nach wie vor ein Analoginstrument mit Zeiger, flankiert von zwei Displays, auf denen eine variable Zeichentrickversion der klassischen vier weiteren Instrumente abgebildet wird. Das Infotainment-System ist natürlich digital aufgebrezelt, inklusive Sprachsteuerung, Dauer-Online, App-Store und Hundert anderen Dingen, die ein Sportwagen absolut nicht braucht.

Einer für alle

Darüber, dass er unverändert zu dieser Gattung zählt, lässt der 911 mit dem nunmehrigen Modellcode 992 keinen Zweifel aufkommen. Der Sechszylinder-Boxer hat in jeder Lebenslage Kraft, ist hochagil, drehfreudig und elastisch – 450 gut abgerichtete Hengste (oder Stuten, wem das lieber ist), die Saugmotor-Charakteristik mit solider Turbo-Power imitieren, dabei aber niemals in verschwitzte Hektik verfallen. Die breitere Spur, weichere Stabis, aber strammere Federdämpfer-Kombination sorgen für extrem soliden Ritt, dazu ist auch die Lenkung etwas straffer geworden und liefert mehr Feedback. Das fragwürdige Mascherl von der Alltagstauglichkeit des Elfers ist eine Themaverfehlung. Tatsächlich ist er der promiskuitivste Sportwagen der Welt: Er lässt jeden ran – an den ganz persönlichen Grenzbereich, ohne sich dabei gleich wehzutun. Richtig angewendet, ist er ein perfekt austariertes Sportgerät, mit dem sich auf engen Bergstraßen ebenso passgenau hantieren lässt wie auf der Rennstrecke. Und wenn es einmal nur der Berufsverkehr sein sollte – es gibt deutlich weniger erfreuliche Arten, in die Arbeit zu kommen.

Zum Marktstart wählt Porsche die goldene Mitte und bietet den 911 zunächst als Carrera S mit Heckantrieb und als Allradler 4S an. Varianten darüber und darunter werden nachgereicht.

PORSCHE 911 CARRERA S/4S

Maße: L/B/H: 4519/1852/1300 mm
Radstand: 2450 mm

Motor: Sechszylinder-Boxer-Otto-Turbo, 2981 ccm, Leistung: max. 331 kW (450 PS) bei 6500/min, Drehmoment: max. 530 Nm bei2300–5000/min
0–100 km/h in 3,7/3,4 sec
Vmax: 308/306 km/h
CO2: 205/206 g/km
Hinterrad-/Allradantrieb, 8-Gang-PDK

Preis:
911 Carrera S ab 145.583 Euro
911 Carrera 4S ab 155.179 Euro

Compliance-Hinweis:
Die Reisen zu Produktpräsentationen wurden von den Herstellern unterstützt. Testfahrzeuge wurden kostenfrei zur Verfügung gestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2019)

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