Audi: Marc Lichte ist das Gesicht des Designs

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Bei Lichte betrachtet ist Audi gar nicht so konservativ. Designchef Marc Lichte über kreativen Mut, ewige Klassiker, künftige Visionen – und das Segeln.

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San Francisco, Kalifornien. Unter den blauen Einheits-Anzügen der zur Präsentation des vollelektrischen Hoffnungsträgers e-tron angereisten Audi-Mannen hebt sich Marc Lichtes Existenzialisten-Outfit – schwarzes Sakko, Hemd, graue Jeans – gut ab. Statt des Stereotyps eines Sartre-zitierenden Kettenrauchers steckt hier aber ein fröhlicher, offener Mensch drin, mit einem Teint von ausgiebig Sonne und Wind. Was wollte Marc Lichte werden, als er sechs Jahre alt war? „In dem Alter hatte ich zwei Leidenschaften: Segeln – was ich bis heute in meiner Freizeit mache, und zwar jede Minute, die ich frei habe. Und Autos – mein Vater ist in den 70er-Jahren Rennen gefahren. Es war lange nicht klar: Mache ich was mit Segeln oder mit Autos?“
„Und dann war da noch mein Opa, ein ganz großartiger Künstler, er hat mir Aquarell, Ölmalerei, Perspektive, einfach alles beigebracht. Ich konnte meiner Kunstlehrerin in der Schule sagen, wie das geht.“ Zweifellos eine Herausforderung für das Lehrer-Ego. Als er mit zwölf Jahren im Fernsehen einen Bericht über den Studienlehrgang Transportation Design sieht, schalten die vorprogrammierten Synapsen: „Damit war für mich das Ziel klar.“
Der Rest ist sein Lebenslauf: erfolgreiche Designausschreibungen, Praktika bei GM, Designhochschule. Irgendwann sitzt Hartmut Warkuß in der Jury eines Uni-Wettbewerbs. „Ich hatte gewonnen und er hat gesagt: Pass auf, du kriegst jetzt ein Stipendium, dann einen Vertrag und kommst zu Audi. In den folgenden zwei Jahren ist Warkuß dann aber mit Ferdinand Piëch zu VW gegangen, und als ich fertig war, hat er gesagt: ‚Jetzt kommst du erst einmal zu VW.’ Dort war ich dann siebzehn Jahre.“
Seit 2014 ist er nun bei Audi, der Marke des konservativen Looks schlechthin. „Audi war damals schon ein bisschen eingestaubt. Es ist oft so: Ist eine Marke erfolgreich, geht der Mut aus. Wenn ich dem Vorstand sage: Ich möchte beim Nachfolger eines gut laufenden Modells alles anders machen, dann sagen die: Wieso denn, Herr Lichte, das ist doch so erfolgreich?“

Die Designrevolution bei Audi hat aber bisher noch nicht stattgefunden – oder haben wir etwas verpasst? „Es wäre einfach gewesen, zu Audi zu kommen und alles in Frage zu stellen. Vielleicht hätt’s auch geheißen: Ja super, der Lichte, der kann’s, der erneuert uns. Das wäre aber nicht das Richtige für Audi gewesen. Da muss ich auch meinen Vorgängern recht geben: Eine gewisse Nachhaltigkeit ist wichtig. Man muss aber mit jeder Generation einen Schritt machen.“
Wenn Marc Lichte spricht, sitzt Begeisterung mit am Tisch. Er versichert sich gern der vollen Aufmerksamkeit seines Gegenübers. Bei der Frage nach seinem Lieblings-Designobjekt muss er nicht nachdenken: „Eine Wally (Anm.: eine Segelyacht) – da erkenn ich die einzelnen Modelle schon am Mast und schmuggle mich bei Gelegenheit auch schon einmal in eine Marina, weil die ja immer abgeschlossen sind. Und dann steh ich da eine Stunde und schau mir das aus jeder Perspektive an.“
Demnach erübrigt sich die Frage, wo ihm die besten Ideen kommen. „Ich hab viele Kollegen, die sagen, ich war da und da und dann kam mir die Idee. So ist das bei mir nicht. Das Wichtige ist für mich, den Kopf freizukriegen. Ich bin am Wochenende mit der Familie am Schiff, und dann schalte ich komplett ab.“
Und welches Auto hält Lichte für besonders gelungen und inspirierend? „Den 911, auch wenn das jetzt abgegriffen klingt. Und den Lancia Stratos, ein echtes Highlight. Der Neue damals, das Hrabalek-Auto, war auch toll – aber ich hätte den noch radikaler gemacht.“

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Wie radikal dürfen wir uns die Zukunft von Audi vorstellen? „Kritisch betrachtet kann man sagen, dass heute jedes Auto ein Kompromiss ist: Es muss komfortabel sein, sportlich, gut aussehen, Platz haben und das in verschiedenen Größen. Wir denken, dass sich das ändern wird, Stichwort Auto-on-Demand. Die Autos werden spitzer positioniert, für einen bestimmten Verwendungszweck konzipiert. Etwa für die Langstrecke, vollautonom, Level 5. In der Stadt fahr ich aber was ganz anderes. Dann wieder das radikale Gegenteil, Level Zero, eine reine Fahrmaschine. Wir gehen von vier Use Cases aus, und das ist unsere Vision – noch nicht für übermorgen, aber die Richtung, in die Audi hinwill.“

Das Gespräch führten wir am Vormittag. Abends folgt die offizielle Präsentation des e-tron, unverkennbar Audi-Hülle, für das Elektro-Thema diskret evolutioniert. Marc Lichte präsentiert vor 1600 Menschen das Design, spricht als Einziger ohne Teleprompter, völlig frei, mit der gleichen Begeisterung, wie im Vieraugengespräch. Und er verliert dabei tatsächlich kein Wort über das Segeln.

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