Wenn die Geschwindigkeit zählt

Organspenden
Organspenden(c) APA/dpa/Soeren Stache
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Transplantationen: Die Verpflanzung eines Organs ist nicht nur eine medizinische, sondern davor vor allem eine logistische Herausforderung. Dabei müssen verschiedene Rädchen perfekt aufeinander abgestimmt ineinander greifen.

Exakt 789 Organtransplantationen wurden im Vorjahr in Österreich durchgeführt. In 717 Fällen wurden dabei Organe von Verstorbenen verpflanzt, in 72 stammten sie von lebenden Spendern. Das geht aus dem aktuellen „Transplant-Jahresbericht 2017“ der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) hervor.

Hinter jeder Organtransplantation steht allerdings nicht nur eine medizinische, sondern auch eine logistische Meisterleistung. Zum einen kennt niemand den Zeitpunkt, wann ein potenzieller Organspender stirbt. Zum anderen befinden sich Spender und Empfänger in der Regel nicht im selben Krankenhaus, oft sind sie sogar durch hunderte Kilometer getrennt. Eile ist in jedem Fall notwendig, denn die Organe können nur eine bestimmte Zeit ohne Durchblutung überleben. Je mehr Zeit vergeht, desto höher ist das Risiko, dass die Zellen geschädigt werden und das Organ im schlimmsten Fall nicht mehr verpflanzt werden kann.

„Ein Herz bleibt ab der Abklemmung von der Blutversorgung vier Stunden funktionsfähig, eine Lunge sechs“, sagt Martin Müller von den Johannitern. Mehr Spielraum gibt es bei Leber und Bauchspeicheldrüse: zehn Stunden. Noch länger ist die so genannte Ischämiezeit bei Nieren, die bis zu 24 Stunden ohne Blutversorgung auskommen. Müller leitet ein Team von rund 20 ehrenamtlichen Mitgliedern, das in Kooperation mit dem Transplantationszentrum des AKH, das für die Versorgungsregion Ostösterreich zuständig ist, den Transport von Organen im Auto durchführt. Nicht nur die Organe werden transportiert, sondern auch die Ärzteteams, die das Organ in dem Krankenhaus, in dem der Spender liegt, entnehmen. „Wir entnehmen in unserer Versorgungsregion die Organe immer selbst“, sagt Gabriela Berlakovich, Leiterin der Klinischen Abteilung für Transplantation am AKH. Passiert das in einem Krankenhaus, das den Transport innerhalb des Zeitfensters zulässt, holen Müller und seine Kollegen das für das Organ zuständige Transplantationsteam vom AKH ab und bringen es in das betreffende Spital. Nach der Organentnahme, die meist zwischen drei und vier Stunden dauert, geht es im Eiltempo zurück ins AKH, wo bereits der Empfänger wartet.

Zentren Innsbruck, Linz und Graz

Die anderen drei österreichischen Transplantationszentren in Innsbruck, Linz und Graz setzen übrigens auf das gleiche Procedere. Wird das Organ im Ausland entnommen, bringt die Bodentruppe das Ärzteteam zum Flughafen und holt es nach der Rückkehr wieder von dort ab. „Wir bringen aber auch jene Organe, die für das Ausland bestimmt sind, zum Flughafen“, sagt Müller.

Wer eines der drei für Organtransporte zuständigen Autos lenken darf, ist bei den Johannitern streng reguliert. „Es geht ja um kostbare Fracht“, sagt Müller. Mehrere Jahre unfallfreies Fahren ist genau so eine Vorgabe wie ein verkehrspsychologischer Test, regelmäßige Fahrtrainings gehören ebenfalls dazu. Dabei steht etwa das Handling des Autos bei hohen Geschwindigkeiten auf dem Programm. „Es kann schon einmal sein, dass man drei Stunden mit 180 Stundenkilometern fährt“, weiß Müller. „Oberstes Ziel ist, dass die Organe sicher ankommen“.

Dauert der Transport mit dem Auto zu lang, kommt auf Mittelstrecken auch der Intensivtransporthubschrauber des ÖAMTC zum Einsatz, der in Wiener Neustadt stationiert ist. Er fliegt jene Krankenhäuser an, die in einer Richtung in zwei Stunden erreichbar sind. Also etwa in Vorarlberg, Ungarn, Udine oder im Münchner Raum. „Längere Distanzen fliegt der Jet“, sagt Stützpunktleiter Max Weiermayer – Linien-, Fracht- oder Privatjets. 20 Organtransporte haben er und sein Team heuer bereits durchgeführt, im Vorjahr waren es 25. „Unser Vorteil ist, dass wir rund um die Uhr fliegen können, da wir zu 99,9 Prozent auf den Krankenhäusern landen können“, so der Pilot. Ein Jet ist hingegen auf einen Flugplatz angewiesen. „Aber nicht alle sind 24 Stunden geöffnet“, sagt Weiermayer.

Die Hubschauberpiloten brauchen Zusatzwissen: „Wir fliegen oft ins Ausland – und da gibt es selbst in den EU-Ländern rechtliche Unterschiede“, erzählt der Stützpunktleiter. So müssen die Piloten, wenn sie ein Organ aus Kroatien abholen wollen, zuerst zur Passkontrolle auf einem internationalen Flugplatz. Zudem brauchen sie noch eine Genehmigung, das jeweilige Krankenhaus anfliegen zu dürfen. „Das geht aber meistens per E-Mail“, beschreibt Weiermayer. In Ungarn hingegen ist beides nicht nötig. Mindestens genau so wichtig wie der Transport des Organs ist dessen Aufbewahrung. „Das Organ wird steril in drei Plastikbeuteln verpackt, in denen sich eine Konservierungslösung befindet. Danach kommt es in eine Styroporbox mit crushed ice, die konstant vier Grad Plus hat“, beschreibt Berlakovich. Aber nicht nur das Organ muss rechtzeitig und in gutem Zustand in dem Krankenhaus, in dem die Transplantation stattfindet, eintreffen, sondern auch der Empfänger. „Es ist wichtig, dass er vor dem Organ da ist“, sagt die Transplantationsspezialistin. Denn vor der Operation müssen unter anderem die für ihn vorgesehenen Blutkonserven speziell aufbereitet werden. Sobald der Patient verständigt wurde, dass er ein Organ erhält, muss er die Rettung rufen. „Nur diese darf ihn fahren. Selbst mit dem Auto zu fahren wäre zu gefährlich“, sagt Berlakovich. Sind schließlich Organ und Empfänger im Operationssaal, geht der Countdown weiter. Diesmal medizinisch.

Die gemeinnützige Stiftung Eurotransplant wurde 1967 gegründet. Sie vermittelt und koordiniert den internationalen Austausch von Spenderorganen in 81 Transplantationszentren in Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Slowenien und Ungarn. Die Transplantationszentren speisen alle wichtigen Merkmale von Patienten, die auf ein Organ warten, in die zentrale Datenbank von Eurotransplant ein. Sobald ein Spender gefunden ist, werden auch dessen Merkmale in die zentrale Datenbank aufgenommen. Um die Transportzeiten so kurz wie möglich zu halten, ist die Eurotransplant-Zentrale rund um die Uhr erreichbar.

TRANSPLANTATIONS-ETAPPEN

1. Die Verfügbarkeit des Organs wird bei Eurotransplant gemeldet.

2. Eurotransplant vergibt das Organ nach vier Kriterien: Neben der Erfolgsaussicht der Transplantation, die maßgeblich von der Gewebeübereinstimmung abhängt, sind dies Dringlichkeit, Wartezeit und nationale Austauschbilanz.

3. Sobald der Spender ausgewählt ist, wird das zuständige Transplantationszentrum verständigt. Entnahme, Transport und Verpflanzung werden koordiniert und der Empfänger verständigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2018)

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