Entgiften gibt's nicht: Die Detox-Lüge und andere Fastenmythen

Fastenmahlzeit
FastenmahlzeitMichaela Bruckberger
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Was gestern Fasten war, heißt heute Detox. Das Wort ist zu einer verbalen Seuche geworden. Ob Tee, Gemüsesaft oder Badesalz – stets wird Entgiftung versprochen. Dabei kann der gesunde Körper das von allein.

Der Mensch sucht nach simplen Lösungen. Wenn irgendjemand behauptet, wir würden Gift in unserem Körper ansammeln, dann klingt das naturgemäß beunruhigend, wenn derselbe aber erwähnt, man könne sich dieser Schadstoffe mit einer speziellen Methode entledigen, glaubt man das umso lieber. Das Schlechte muss raus, aber bitte schnell.

Was gestern Fasten war, heißt heute für gewöhnlich „Detox“. So gut wie jeder durchschnittlich aufgeschlossene Mensch, ausgestattet mit ausreichend schlechtem Gewissen, was die eigenen Ess- und Trinkgewohnheiten betrifft (und ein bisschen überschüssiger Tagesfreizeit), hat sich schon einmal ehrgeizig an so eine „Entgiftung“ gewagt. Um seine Ernährungssünden zu büßen, püriert er geduldig Gemüse- und Obstsorten oder kauft fixfertige Säfte bei Anbietern wie Green Detox oder Slim Tim-Detox , klebt über Nacht chinesische Pflaster auf die Fußsohlen (die in der Früh dunkelbraun sind und, nun ja, interessant riechen) und trinkt mindestens drei Liter Wasser pro Tag oder Tees mit Namen wie Super Clean Detox, Sleep Well Detox oder Skinny Detox. Wenn es ihm gelingt, legt er einen Tag oder Abend pro Woche (oder, immerhin, ein Abendessen!) Smartphone und Tablet beiseite (Digital Detoxing) und probiert bei ausgeprägter Experimentierfreude gar eine Darmspülung. In Lokalen wie der Bäckerei Joseph in Wien muss er nicht ewig die Karte studieren, denn Modesäfte mit Namen wie Johnny Kale und The Beauty and the Beets sind nicht zu übersehen. Und dann schmecken sie sogar passabel, wie praktisch, denn zu viel Leid beim Entgiften muss nicht sein.

Das Märchen von den Giften

Vor dem Wort „Detox“ ist also kaum eine Produktgruppe sicher. Badesalze und Cremen, Wasser, Säfte und Tees, Pflaster und Ratgeber schmücken sich damit. Eine ganzer Zweig der Ernährungs- und Fitnessindustrie lebt von diesem Begriff, und zwar gut. Doch bevor man sich fragt, was aus dem altmodischen Fasten oder dem Weglassen diverser Lebensmittel auf begrenzte Zeit geworden ist, sollte man der Wissenschaft zuhören, die sagt: Detox ist ein Märchen. „Nonsense“ nennt es gar der britische Alternativmediziner Edzard Ernst. Im „Guardian“ erklärte er vor einiger Zeit, warum: „Wenn sich Gifte in unserem Körper sammeln würden, die wir nicht ausscheiden könnten, würden wir sterben.“ Ein gesunder Körper hat ja ohnehin Leber, Nieren, Lungen, Darm und Haut. Kurz gesagt: Das Entgiften, das macht der Organismus ganz allein.

Doch die Ernährungswissenschaft ist gespalten. Im Grunde ist die Idee, die hinter Detox steckt, nicht die schlechteste. Wenn Menschen ein neues Modewort brauchen, um sich und ihr Ess-, Trink- und Rauchverhalten wieder in Balance zu bringen, soll man sie nicht davon abhalten, sagen die einen. Die anderen sind skeptischer: „Es gibt keine wissenschaftliche Studie, die die Wirksamkeit von Detox beweist“, sagt Kurt Widhalm, Präsident des Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin in Wien. „Das heute alles vergiftet ist, ist Schwachsinn. Wir haben noch nie so viele gesunde Lebensmittel gehabt.“ Auch die gern erwähnten Schlacken im Körper gibt es nicht.

Genuss, nicht Medizin

Hersteller von Detox-Tees wie das Teehaus Demmer in Wien geben zu, dass es sich bei diesen Sorten nicht um Medizin, sondern um Genusstees handelt. Was früher ein Kräutertee mit Himbeerblättern, Hagebutten, Fenchel, Apfelstücken, Anis, Pfefferminze, Holunderblüten, Melisse, Rosenblüten war, nennt sich heute eben „Detox Herbal Tea“. Da gehe man mit der Mode, sagt der Leiter der Filiale im ersten Bezirk. Obwohl man dem Kunden sicher kein Wundermittel versprechen würde.

Auch die Wiener Ernährungsberaterin Ursula Vybiral hält nicht viel vom Radikalfasten und betont: „Der Begriff Detox wird schon sehr missbräuchlich verwendet.“ Zudem wären in fertig gekauften Smoothies erst recht of wieder ungünstige Zusatzstoffe wie Kokosmilch enthalten. Trotzdem ist sie der Meinung, Detox habe zu Unrecht einen schlechten Ruf. „Wir sind zwar nicht vergiftet, aber doch alle sehr belastet.“ Dank Konservierungs- und Farbstoffen, Zitronensäure und einer in Österreich generell eher säurelastigen Speisekarte (wie Brot, Käse, Schinken – „das klassische Abendbrot“) würden wir unsere Körper übersäuern. Sie rät daher, immer wieder einen Entsäuerungstag einzulegen, an dem man sich besonders basisch, also mit Gemüse, Obst und Kartoffeln, ernährt. Bei ihren Beratungen gibt sie Kunden eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Grundregel mit: „Abnehmen kann man nur mit Essen, nicht mit Hungern.“ Ihr Ratschlag sei daher: Hirn einschalten, (wenn nötig) Lesebrille aufsetzen und sich eigenverantwortlich darum kümmern, was man zu sich nimmt. Indem man etwa die Verpackung genau studiert. „Wenn ich mir einen Früchtetee bestelle und dann auf dem Teesackerl lese: ,Aromatisiert, enthält Zucker und Reismehl', weiß ich, dass ich den zurückschicke.“

Der britische Mediziner Edzard Ernst würde Vybiral vermutlich widersprechen. Er hält eine streng basische Ernährung und die Idee, dass diese gegen die Übersäuerung des Körpers wirkt, für Humbug. „Proteine in Zellen, inklusive Hämoglobin in Blutzellen, regeln den Säurehaushalt sehr präzise. Mit Entgiftung hat das alles nichts zu tun“, sagte er 2014 dem deutschen „Wired“-Magazin. England hat die Debatte über die Wirkung von Detox-Produkten schon vor einigen Jahren geführt. Anlass war eine Studie der Organisation Sense About Science, bei der Hersteller von 15 Detox-Produkten wie Hautgels und – wieder – Smoothies, nach ihrer Definition von Detox und einem Nachweis der Wirksamkeit ihrer Produkte befragt wurden. Doch keiner der Hersteller konnte mit Daten untermauern, dass ihr Spezialwasser und ihr Body Brush entgiftend ist. Nicht einmal zwei der Hersteller brachten dieselbe Definition von Detox vor.

Auch die sozialen Netzwerke, allen voran die Hochglanzfoto-Ecke Instagram, haben der Verbreitung von Detox geholfen. Sieht es doch so unfassbar diszipliniert und gesund aus, wenn man die selbst pürierten oder gekauften Gemüsesäfte, den Ananas-Kiwi-Beeren-Teller im perfekt designten Wohnzimmer oder auf dem Holzküchentisch fotografiert.

Übrigens, es gibt sehr wohl eine echte, medizinisch wirksame Entgiftung. Bei wirklich Kranken wird eine Dialyse vorgenommen, bei Vergiftungen der Magen ausgepumpt und bei Drogenabhängigen ein Entzug gemacht. Doch diese Detox-Formen sind alles andere als alltags- und schon gar nicht Instagram-tauglich.

Fakten

Ein gesunder Körper entgiftet sich selbst. Dafür sorgen Haut, Leber, Nieren, Lunge und Darm.

Dennoch können sich Gift- und Schadstoffe in Fettzellen ablagern. Doch Abnehmen allein beseitigt diese Stoffe nicht. Besser ist es, darauf zu achten, möglichst wenige dieser Stoffe aufzunehmen, etwa indem man sich abwechslungsreich ernährt.

Im Darm lagern sich keine Schlacken an. Alles, was in den Darm gelangt, wird ausgeschieden.

Der Körper übersäuert nicht. Der Säure-Basen-Haushalt reguliert sich im Normalfall selbst.

Pürierte Säfte aus Obst und Gemüse sind nicht schädlich, aber auch nicht die allergesündeste Ernährungsform. Erstens nimmt man zu viel Gemüse oder Obst in kurzer Zeit auf, zweitens fällt durch das Pürieren das Kauen weg, somit fehlen die Verdauungsschritte.

Detox-Tees mögen gut schmecken, aber sie sind im Grunde nichts anderes als kreative Kräuterteemischungen.

Info

Ursula Vybiral ist seit zehn Jahren als Ernährungsberaterin tätig, derzeit in der Puls4-Show „Koch mit! Oliver“ zu sehen. www.easyeating.at

Die britische Organisation Sense about Science hat 2009 Hersteller von 15 Detox-Produkten zu Wirkung und Inhaltsstoffen der Produkte befragt. Details: www.senseaboutscience.org/pages/debunking-detox.html

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2016)

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