Mehr Eiweiß, mehr Fitness?

Mit Protein angereichertes Joghurt – auch das gibt es mittlerweile im Supermarkt zu kaufen.
Mit Protein angereichertes Joghurt – auch das gibt es mittlerweile im Supermarkt zu kaufen.Getty Images/Tetra images RF
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Sie sollen beim Abnehmen helfen und gut für Muskeln sein: Proteine. Derzeit sind mit Eiweiß angereicherte Produkte überall zu kaufen. Soll man sie essen?

Aktuell sind sie in Supermärkten sehr prominent platziert: eiweißreiche Produkte, vom „Eiweiß-Brot“ über das „Protein-Müsli“ bis zu Joghurt und Käse mit „hohem Eiweißgehalt“, „Protein-Smoothies“ oder klassischen Eiweiß-Riegeln.

Motivierte Neujahrsvorsatz-Hobbysportler – so die Hoffnung – sollen auf sie zurückgreifen, immerhin verspricht das enthaltene Protein laut Produktbeschreibungen Muskelaufbau und -regeneration. Doch auch weniger Sportlichen wird vermittelt, damit etwas Gutes für die Gesundheit zu tun.

Spätestens seit dem Vormarsch der Low-Carb-Diät sind Proteine als Nahrungsmittel-Multitalente in den Fokus gerückt. Auf Kohlehydrate zu verzichten und stattdessen mehr Eiweiß zu essen, soll nicht nur schlank, sondern auch fitter und leistungsfähiger machen, so die These. „Generell kann man dem Eiweiß durchaus mehr Beachtung schenken als bisher, denn es ist für eine Vielzahl an lebenswichtigen Funktionen im Körper notwendig“, sagt dazu Petra Rust, Studienprogrammleiterin der Ernährungswissenschaften der Universität Wien. In welcher Form und Menge, sei allerdings eine andere Frage.

Grundsätzlich dienen Eiweiße als Strukturmaterial im Körper und bilden als zentrale Bausteine Muskeln, Knochen, Organe, Hormone, Blut und Antikörper des Immunsystems etc. „Unser gesamtes Gewebe besteht aus Eiweiß. Dieses wird wiederum aus Aminosäuren gebildet“, erklärt Ernährungs- und Sportwissenschaftler Bernhard Franzke von der Universität Wien. „Wesentlich für die Aufrechterhaltung unserer Körperfunktionen sind 20 verschiedene Aminosäuren, wovon acht essenziell sind – diese kann der Körper nicht selbst herstellen, sie müssen mit der Nahrung aufgenommen werden.“ Die nicht essenziellen Aminosäuren kann der Körper hingegen selbst bilden, teilweise über die essenziellen.

Proteine sind in allen tierischen Lebensmitteln enthalten: Fisch, Fleisch und Wurstwaren, Milchprodukte sowie Eier. Aber auch in pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Hülsenfrüchten, Nüssen, bestimmten Getreidesorten oder Erdäpfeln. Tierische und pflanzliche Eiweiße unterscheiden sich allerdings in ihrer Aminosäurenzusammensetzung. „Dabei hat das tierische Protein etwas die Nase vorne, denn es kann besser und schneller aufgenommen werden“, so Franzke. Man spricht hier von der Bioverfügbarkeit oder biologischen Wertigkeit, die angibt, wie viel Protein eines Nahrungsmittels der Körper optimal nutzen kann. Ein Hühnerei hat etwa die biologische Wertigkeit 100, Erdäpfel 76 und Soja 81. „Durch die Kombination von etwa Erdäpfeln mit Ei lässt sich die Bioverfügbarkeit sogar um 30 bis 40 Prozent erhöhen.“

Gesunde, erwachsene Männer und Frauen sollten laut Empfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht und Tag zu sich nehmen – bei 70 Kilogramm Körpergewicht entspricht das 56 Gramm Protein pro Tag. Auch Hobbysportler, die mehrmals die Woche trainieren, brauchen nicht mehr als diese Menge. Der Bedarf ist über eine ausgewogene Ernährung mit möglichst natürlichen Lebensmitteln gut zu decken. Lediglich älteren Menschen ab 65 Jahren wird als Schätzwert ein Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht und Tag empfohlen. Im Alter reagiert die Muskulatur weniger sensibel auf Reize aus der Nahrung – man braucht daher mehr Eiweiß, um die gleiche Menge aufzunehmen wie Jüngere. Hier kann es durchaus Sinn haben, auf eiweißangereicherte Produkte zurückzugreifen, etwa wenn jemand nicht mehr gut kauen kann.

Normalgewicht entscheidend. „Bei der Berechnung der wünschenswerten Zufuhr an Eiweiß muss man immer vom Normalgewicht ausgehen“, sagt Petra Rust. „Jemand, der über- oder untergewichtig ist, muss sich zuerst sein Normalgewicht berechnen und davon ausgehend die persönliche Eiweißmenge, die pro Tag verzehrt werden sollte.“ Am einfachsten geht dies über die Berechnung des Body-Mass-Index.

Die Österreicher haben allerdings kein Problem mit einem Eiweißmangel, sondern liegen, wie der Österreichische Ernährungsbericht 2017 zeigt, mit etwa einem Gramm Eiweiß pro Kilo Körpergewicht und Tag über der empfohlenen Menge. „Österreichische Erwachsene verzehren viele tierische Lebensmittel. Männer überschreiten die Zufuhrempfehlung für Fleisch und Wurstwaren sogar um das Dreifache“, so Rust. Deshalb wird empfohlen, mehr pflanzliche Lebensmittel zu essen, wodurch sowohl die Eiweiß- als auch die Energiezufuhr reduziert würden. Denn ein Zuviel an (verarbeiteten) Fleischprodukten – wie es etwa bei der Steinzeit-Diät propagiert wird – kann auf Dauer das Risiko für chronische Erkrankungen erhöhen. Zu viel, das sind über drei Gramm Eiweiß pro Kilo Körpergewicht und Tag. Auch gibt es Hinweise, dass eine zu hohe Proteinzufuhr in der Schwangerschaft sowie im Säuglingsalter das Risiko für Übergewicht erhöhen könne, sagt Rust. „Hier haben die Hersteller von Säuglingsnahrung bereits reagiert und den Eiweißgehalt verringert.“


Jojo-Effekt. Umgekehrt ist es problematisch, wenn man bei Diäten zu wenig Eiweiß zu sich nimmt. Denn dann bedient sich der Körper bei den Muskeln: „Muskelzellen werden zertrümmert und daraus Energie gewonnen“, erklärt Gerhard Smekal, Universitätsprofessor für Sport und Ernährung. Die Folge: Muskulatur wird abgebaut, der Energieverbrauch reduziert sich – isst man später wieder „normal“, tritt der Jojo-Effekt ein. Man nimmt wieder zu, bei weniger Muskelmasse als vor der Diät.

Eiweiß über mit Protein angereicherte Produkte wie Joghurts oder Drinks zu sich zu nehmen ist trotzdem nicht notwendig. Außerdem seien darin oft Zuckerzusatzstoffe oder andere künstliche Inhaltsstoffe enthalten, auf die man gut verzichten könne, so die Experten.

Es gibt natürliche Alternativen. Der Protein-Shake lässt sich etwa durch Topfen mit Nüssen und Beeren oder mageres Fleisch mit einer eiweißreichen Getreidebeilage ersetzen. „In diesen Convenience-Produkten sehe ich für die Konsumenten die gleiche Gefahr wie beim Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln: Sie essen diese Produkte und glauben, damit etwas für ihre Gesundheit getan zu haben“, sagt Rust. „Allerdings bin ich noch lang nicht optimal ernährt, nur weil ich ein mit Eiweiß angereichertes Milchprodukt konsumiert habe.“ Eine ausgewogene Ernährung umfasse Abwechslung und Vielfältigkeit – dann sei auch kein zusätzliches Eiweiß notwendig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2019)

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