Impfdebatte: Intuitive Logik und mündige Patienten

Global healthcare. Vaccine
Global healthcare. Vaccine(c) Getty Images/iStockphoto (Guschenkova)
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Die Impfdebatte wird sehr emotional geführt. Was das mit der modernen Informationsgesellschaft zu tun hat, und warum rationale Argumente alleine nicht ausreichen.

Wenn es um Kommentare zum Thema Impfen geht, wählen selbst ansonsten seriöse Medien raue Töne. „Impfgegner: Tödliche Dummheit“, betitelte beispielsweise Spiegel Online Anfang März eine Kolumne zu diesem Thema. Die Mitschuldigen wurden auch gleich genannt: Google und Facebook. Tatsächlich finden sich im Internet neben durchaus vernünftigen skeptischen Fragen über den Nutzen von Impfungen auch krude Verschwörungstheorien oder esoterische Philosophien zum Thema, die tatsächlich tödliche Folgen haben können. Etwa eine lebensgefährliche Krankheit zu durchleiden sei notwendig, um das Immunsystem zu trainieren.

Harsche Kritik wird allerdings Menschen, die solchen Unsinn glauben, kaum überzeugen. Das meint etwa Claus Lamm, der sich als Universitätsprofessor für Soziale, Kognitive und Affektive Neurowissenschaften an der Wiener Universität auch mit jenen Prozessen beschäftigt, die abseits der faktenorientierten Prozesse menschliche Entscheidungen beeinflussen: „Es gibt auch so etwas wie eine intuitive Logik, die nicht immer mit der evidenzbasierten wissenschaftlichen Logik zusammenpasst“, sagt der Wissenschaftler. Menschen sind allen Fakten zum Trotz überzeugt, dass ihre Meinung richtig sei, weil sie sich als richtig anfühle.

Populismus versus Fakten. Das Phänomen findet sich nicht nur beim Impfthema, sondern ebenso in der Politik, meint der Wissenschaftler. Immer öfters werden auch dort die Aussagen kompetenter Autoritäten in Frage gestellt: „Populistische Strömungen machen sich zunutze, dass das Volk gehört werden will.“ Faktenorientierte Evidenz lasse sich allerdings durch demokratische Entscheidungen nicht aushebeln, betont Lamm: „Bei einer Blinddarmentzündung wird man ja auch nicht hundert Leute fragen, ob die Operation wirklich nötig sei.“
Die Mediziner seien allerdings an der Skepsis, die ihrem Berufsstand heute entgegengebracht wird, nicht völlig unschuldig, meint Maximilian Gottschlich, emeritierter Universitätsprofessor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Schon vor einem Jahrzehnt schrieb er ein Buch über die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Ihn wundert die wachsende Impfskepsis nicht: „Der mündige Patient folgt nicht mehr automatisch den Vorgaben der Experten.“ Deshalb sei es notwendig, dass Ärzte mehr Zeit in Kommunikation investieren.

„Aber das verloren gegangene Vertrauen durch Kommunikation neu zu erarbeiten, fällt Medizinern in den Kliniken und in den Praxen schwerer denn je“, meint Gottschlich. Heute habe jeder Patient über das Internet Zugang zu unterschiedlichstem medizinischen Wissen. Natürlich habe der Laie nicht die Fähigkeit zu unterscheiden, was etwa beim Impfen wichtig und richtig, was falsch sei. „Der Arzt kommt aber in eine völlig neue Kommunikationssituation, er muss sich mit dem aufgesaugten Wissen des Patienten, mit den irrwitzigsten Verschwörungstheorien ernsthaft auseinandersetzen.“

Dabei geht es nicht um die Zeit, die dem Patienten gewidmet wird, sondern um die Aufmerksamkeit, die man ihm entgegenbringe. „Der Patient muss das Gefühl haben, der Arzt hat nicht viel Zeit, aber in dieser knappen Zeit ist er für mich da und setzt sich mit meinen Sorgen auseinander.“ Kann das vermittelt werden, ließe sich auch mancher Impfgegner von Fakten überzeugen. Aber leicht sei das nicht. Gottschlich: „In Wochenendseminaren lässt sich das kaum lernen, es bedarf einer kommunikativen Grundeinstellung.“

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