Die Heilige Schrift als Legitimation für Rassismus

Sklavenhalter griffen auf die Bibel zurück, um die Haltung schwarzer Sklaven zu rechtfertigen.

Vor Gott sind alle Menschen gleich. Sollte man meinen. Doch die Geschichte hat gezeigt, dass sich die Anhänger der verschiedenen Religionen nicht immer nur durch Nächstenliebe ausgezeichnet haben. Und dass Diskriminierung im Namen der Religion durchaus vorkommt.

In Teilen der afrikanischen Communitys wird vor allem ein Thema immer noch diskutiert: der Ham-Mythos. Im Alten Testament (Heilige Schrift der Christen) wie auch in der jüdischen Thora verflucht Noah seinen Sohn Ham wegen einer Respektlosigkeit. Von nun an sollen er und seine Nachkommen seinen Brüdern dienen. Noah, so erklärt der Historiker Amadou Lamine Sarr, gilt in beiden Religionen als Stammvater. Und Hams Sohn Kanaan wurde später als Vorfahre der Schwarzen interpretiert.

Die Konsequenz: Mit Verweis auf diesen Bibelvers rechtfertigten sich etwa amerikanische Sklavenhalter. In ihrer Argumentation war die Haltung schwarzer Sklaven dadurch legitimiert.

Es gibt verschiedene Theorien, wie es zu dieser Interpretation kommen konnte, da die Bibel keine besonderen Angaben über die „Rasse“ der Söhne macht. Wahrscheinlich gebrauchten hebräische Gelehrte diese Passage, um die Unterwerfung des Landes Kanaan zu rechtfertigen. In diesem syrisch-palästinensischen Gebiet sollten angeblich die verfluchten Nachkommen von Ham leben.

Schwarz negativ besetzt

Mit der Zeit entwickelte sich die Theorie, dass Kanaan eine schwarze Hautfarbe hatte. Damit entstand eine Legitimation, „Schwarze“ anders zu behandeln. Hier spielt auch mit, dass viele Religionen eine Farbsymbolik haben, wonach „Schwarz“ als dunkel im Gegensatz zu Licht steht und damit häufig negativ besetzt wurde.

Im Islam kennt man keine derartige Rechtfertigung für Rassismus. „Der Islam erkennt prinzipiell Thora und Evangelium als Offenbarungszeugnisse Gottes an“, sagt Religionswissenschaftler Wolfram Reiss. Allerdings glauben Muslime, dass die ursprünglichen Schriften verändert wurden oder verloren gingen. Dennoch galt Sklaverei als mit dem Glauben vereinbar und musste lange Zeit nicht gerechtfertigt werden.

In einem kürzlich erschienenen Buch stellt der Anthropologe Tidiane N'Diaye die brisante These auf, Muslime hätten den Menschenhandel mit Afrikanern im großen Stil lanciert. Der Status von Schwarzen wurde angeblich als niedriger betrachtet als der von hellhäutigen Sklaven – auch ohne göttliche Legitimation.

In christlichen Ländern setzten sich mit der Zeit jene Kreise innerhalb der Kirche durch, die die Sklaverei ablehnten. Kirchengeschichtler Dietmar Winkler erklärt: „Bei allen Religionen sind vielfältige Interpretationen möglich. Viele andere Bibelstellen wiederum hatten eine sehr positive Wirkung. So entdeckten afroamerikanische Sklaven die Befreiungsbotschaft des Evangeliums für sich. Daraus entstand der Gospel.“

Und wie geht es den vielen Gläubigen aus Afrika mit solchen Bibelstellen? Assistenzpastor Omotayo vom Vienna Christian Center: „Rassismusvorwürfe kommen von Leuten, die nicht gläubig sind oder den Kontext nicht kennen.“ Für Gläubige seien andere Stellen viel bedeutender. Etwa jene, in der es heißt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Weltbild der Missionierenden

Wenn man die Expansionsgeschichte verschiedener Glaubensgemeinschaften ansieht, scheinen Rassismus und Intoleranz oft ein Thema: in der Beurteilung anderer Religionen und im Missionseifer gegenüber allen, die anders glaubten und lebten. Auch wenn sich die Einstellung geändert hat, so hat die Geschichte doch nachhaltigen Einfluss auf das Selbstverständnis vieler Afrikaner gehabt: Das Weltbild der Missionierenden wurde oft übernommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2010)

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