Klimaforschung: „Die Erwärmung ist nicht abnormal“

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Wissenschaftler haben die Klimageschichte der letzten 10.000 Jahre rekonstruiert. Temperaturschwankungen um 1,5 bis zwei Grad innerhalb einiger Jahrzehnte waren in den letzten Jahrtausenden völlig normal.

Die Katastrophenszenarien von Klima-Apokalyptikern halten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand: Zum einen wird immer wieder behauptet, dass die globale Temperatur auf den höchsten Stand seit langem gestiegen ist. Und zum anderen ist immer wieder zu hören, dass die momentane Erwärmung schneller vor sich geht denn jemals zuvor. Beides ist falsch, wie nun das groß angelegte Forschungsprojekt „Hola“ (Holozänes Lawinengeschehen) zeigt. Dabei wurden Lawinenereignisse im Zillertal seit dem Ende der letzten Eiszeit studiert. Die Lawinen konnten durch Jahresring-Analyse von Holzresten in einem hochalpinen Moor auf das Jahr genau datiert werden. Zudem konnte aus der Breite der Jahresringe auf die damaligen klimatischen Bedingungen geschlossen werden.

Temperaturen im Normalbereich

Die Ergebnisse: Temperaturschwankungen um 1,5 bis zwei Grad innerhalb einiger Jahrzehnte waren in den letzten Jahrtausenden völlig normal. Zum Vergleich: In den letzten 130 Jahren ist die globale Durchschnittstemperatur um 0,8 Grad gestiegen. „Was wir jetzt erleben, liegt in der normalen Schwankungsbreite“, sagte Gernot Patzelt, Innsbrucker Lawinenforscher am Dienstag bei der Präsentation der Studie in Wien. Auch stärkere Temperaturänderungen in kurzer Zeit hat es immer gegeben. So gab es beispielsweise vor 6000 Jahren einen Temperatur-Einbruch um fast drei Grad innerhalb von 50 Jahren – und genauso schnell wurde es auch wieder wärmer. Patzelt: „Die Geschwindigkeit ist nicht abnormal.“

Auch die weiteren Ergebnisse haben es in sich: Ganz klar bestätigt werden konnte, dass es in zwei Drittel der letzten 10.000 Jahre wärmer war als derzeit. Die höchsten Temperaturen in den letzten 10.000 Jahren lagen um 0,7 bis ein Grad höher als heute, zu kälteren Zeiten war es um ein Grad kühler. Darauf hat auch der Wald im Gebirge reagiert: Die Waldgrenze lag im „Klimaoptimum“ um 100 Meter höher als derzeit.

All diese Daten konnten durch die Analyse von Zirbenresten und Blütenpollen aus einem Moor bei der Schwarzensteinalm (nahe der Berliner Hütte) gewonnen werden. Abgehende Lawinen hatten Zirben mit sich gerissen und in das Hochtal verfrachtet, wo sie im sauerstoffarmen Moorwasser Jahrtausende überdauert haben, erläutert Roland Luzian, Naturgefahren-Experte im Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW), der gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Pindur jahrelang in 2150 Meter Seehöhe geforscht hat. Im Hola-Projekt kooperierten das BFW, die Universität Innsbruck und die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Die Ergebnisse wurden im Band „Prähistorische Lawinen“ im Verlag der ÖAW veröffentlicht.

Aus den Zirbenresten – die sinningerweise mit Lawinensonden gesucht wurden – konnte eine durchgehende Serie von Jahresringbreiten konstruiert werden, die bis ins Jahr 7108 vor Christus zurückreicht. Parallel dazu wurden per Computersimulation Lawinenabgänge an dem Berghang modelliert. Dadurch konnte die Baumgrenze in früheren Zeiten rekonstruiert werden.

Die erste im „Hola“-Projekt erfasste Lawine donnerte exakt im Winter 6256/55 v. Chr. in die Tiefe. Bis zur Gegenwart wurden 64 starke Lawinen registriert, davon waren 21 waldzerstörend. Das Interessante daran: Die starken Lawinen gingen fast alle in kühleren Perioden ab. Allerdings, so betont Patzelt, können diese auch in wärmeren Zeiten vorkommen – wenn auch seltener.

Patzelt zieht aus den nun vorhandenen Daten ein klares Fazit: „Wir gehen keiner Katastrophe entgegen.“ Man habe wärmere Zeiten in der Geschichte stets als „Optimum“ bezeichnet und als positiv empfunden. So wurde im Hochmittelalter in Mittelgebirgsregionen oder in England Wein angebaut. „Warme klimatische Verhältnisse haben eher positiven Einfluss auf die Menschheit“, sagt der Forscher.

In den Alpen ist das durchaus plausibel: Denn je höher die Temperatur ist, desto besser ist das für den Schutzwald. Dieser reicht erstens höher hinauf und ist zweitens dichter, erläutert Luzian. Die Folge: Der Wald schützt vor großen Lawinen und er steigert zudem auch die Wasserspeicherfähigkeit der Berghänge, sodass Erdrutsche und Muren in Warmzeiten seltener sind.

Die Ergebnisse von Hola haben auch für den Lawinenschutz große Relevanz: Heutige Schutzmaßnahmen sind so ausgelegt, dass sie vor einem alle 150 Jahre auftretenden Großereignis schützen. Lawinen dieser Größenordnung gab es in den vergangenen Jahrtausenden im Schnitt alle 130 Jahre. Mit der Auslegung liegt man also ganz gut.

Klima: Neue Methoden

Klimadaten aus exakten Messungen gibt es erst seit eineinhalb Jahrhunderten. Diese zeigen, dass sich die mittlere Temperatur der Erde seither deutlich erhöht hat. Allerdings zeigen Forschungen, dass wir uns im längerfristigen Vergleich immer noch in einer Kaltzeit befinden: In zwei Dritteln der letzten 10.000 Jahre (nach dem Ende der Eiszeit) war es wärmer als jetzt. Das haben Innsbrucker und Wiener Forscher nun anhand von prähistorischen Lawinenabgängen (siehe Bild) und der Analyse von Jahresringbreiten bewiesen.

Am Wegener Zentrum der Universität Graz wird ein anderer Ansatz verfolgt: Durch die Auswertung von Signalen von Navigationssatelliten können Rückschlüsse auf das Wetter- und Klimageschehen in höheren Schichten der Atmosphäre gezogen werden. Diese Messungen sind sehr genau und stabil, sie zeigen klar eine Erwärmung. [Wiatr, ESA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2008)

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