In der Baulücke fließt das Gestern ins Morgen

Wer hier einzieht, hat den gleichen Blick auf das Haus gegenüber wie seine Vorgänger.
Wer hier einzieht, hat den gleichen Blick auf das Haus gegenüber wie seine Vorgänger.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mitten in einem eng verbauten Wiener Bezirk wird ein Haus ausgehöhlt, nur die alte Fassade bleibt bestehen.

Mitten in einem eng verbauten Wiener Bezirk wird ein Haus ausgehöhlt, nur die alte Fassade bleibt bestehen. Derzeit kann man vom Gehsteig bis ins Innerste sehen, auch in die Grube, die einmal Parkgarage sein wird, und hin zum Grün, das man hinter der Häuserfront gar nicht vermutet hätte. Ein verwüstetes Puppenhaus. An den verbliebenen Wänden und Säulen kleben Tapetenreste und Poster, die von den 1980er-Jahren erzählen. Im Erdgeschoß muss sich einmal ein Geschäft befunden haben. Man hat es nie geöffnet erlebt.

Selbst die wenigen Reste, die vom Leben hier geblieben sind, erzählen Geschichten. Bald werden neue dazukommen. Wer hier einzieht, hat den gleichen Blick auf das Haus gegenüber wie seine Vorgänger, und die Sonne wird zur selben Zeit ins Zimmer fallen. In dieser großen Baulücke fließen Vergangenheit und Zukunft zusammen. Es passt zum Gefühl dieser Jahreszeit, wo einander Winter und Sommer kurz berühren, Abschied und Neubeginn, im Sinne von Maroni und Eis, Skifahren und Picknick im Park. Wer niest, hat sich verkühlt oder eine Pollenallergie. Im schlimmsten Fall beides.

Diese Schneise mitten durch den geschlossenen Häuserblock macht die Dimension des Raums sichtbar, den Wände, Möbel, Waschmaschinen, Küchen und Klos sonst verbergen. Durch die äußere Begrenzung wird die Weite spürbar, ein ähnliches Phänomen kann man auch im großen Hof des Wiener Museumsquartiers erleben.

Zwischen den Zeiten bleibt man hingegen, wenn nicht alle Uhren umgestellt wurden, im Bad die Sommerzeit, in der Küche aber noch die Normalzeit herrscht. Die Uhr des Backrohrs umzustellen kostet zu viele Nerven. Die einfachen Sachen sind zu kompliziert. Dafür funkt das Bratenthermometer die Kerntemperatur direkt aufs Handy. Die Gäste kommen dann zu früh oder zu spät, je nachdem, ob der Gastgeber noch unter der Dusche ist oder sich gerade die Finger verbrennt.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2019)

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