Auch der Oleander wächst am besten neben der Straße

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Die besten Feiern finden in der Küche statt, und nicht jedes Stockwerk hält, was es verspricht.

„Du musst hinaufschauen, auf die Dächer“, hat einmal ein Besucher gesagt, der ungewöhnliche Fotos machte, auf denen Details der Umgebung zu sehen waren, die einem in vielen Jahren Wien nicht aufgefallen sind. Figuren, Türmchen und Kuppeln, verzierte Erker und französische Balkone. Ein eigene Stadt da oben, zwischen Satellitenschüsseln und Hunderten Tauben auf den Rauchfängen.

Den Blick hinauf muss man sich erst aneignen, wenn man durch die Straßen geht. Schon grundsätzlich zum Typ Erdgeschoß gehörend (das es in Wien ja gar nicht gibt, sondern nur das Parterre), hat man es sich angewöhnt, entweder auf das Handy zu schauen oder den Gehsteig nach Hindernissen und Grauslichkeiten zu scannen. Und um anderen Menschen ins Gesicht zu sehen, fehlt einem in der Großstadt manchmal die Gelassenheit. Zumindest beim Warten aber geht der Blick Richtung Himmel.

Auf der einen Dachterrasse gegenüber der Bushaltestelle stehen viele schwere Terrakotta-Töpfe mit Oleandern, prachtvoll sieht das aus, aber nie regt sich Leben da oben. Vielleicht ist es zu perfekt, ein Entwurf von „Schöner Leben“, das einen im Alltag erdrücken kann. Zwei Stöcke drunter ist oft was los, die Fenster stehen immer offen, man hört Musik und Lachen, und viel geraucht wird dort offensichtlich auch. Das muss der dritte Stock sein, also der erste, wie man gerade vor Kurzem einem verwirrten Zusteller in einem Gründerzeithaus erklärte, der nach HP auf der Etage M gestrandet war und immer noch nicht im ersten Stock.

Während das Dach noch auf die große Cocktailparty wartet, finden die besten Partys in der kleinsten Küche statt, und auch der Oleander wächst im Süden am üppigsten dort, wo sich keiner um ihm kümmert, am Straßenrand.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2019)

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