Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!

Lassen mich durch Arzt
Lassen mich durch Arzt(c) Www.BilderBox.com
  • Drucken

Wer in einer Diskussion auf seine Qualifikation als Fundament seiner Argumentation angewiesen ist, ist in einer bemitleidenswerten Position.

Wer in einer Diskussion auf seine Qualifikation als Fundament seiner Argumentation angewiesen ist, ist in einer bemitleidenswerten Position. Nehmen wir als Beispiel jenen Gast eines Bewirtungsbetriebes in Ottakring, der spätnachts mit dem Kellner in einen Streit um die Abrechnung verfiel. Nachdem er mehrmals gebetsmühlenartig wiederholt hatte, dass er nie im Leben die auf der Rechnung stehenden drei Gläser Spritzwein konsumiert habe, der Servierkörper jedoch darauf beharrte, setzte er zu einem vermeintlichen argumentativen Befreiungsschlag an: „Ich bin Jurist!“ Nun ist diese Ausbildung mit Sicherheit sehr hilfreich, um als Anwalt, Richter oder Notar sein Geld zu verdienen. Doch im Disput um die Zahlung einer möglicherweise nicht in Anspruch genommenen Konsumation ist der Rückzug auf den mag. iur. eher peinlich.

Ähnlich deplatziert wäre es, würde sich jemand an der Schlange vor dem Freibad vorbeidrängen und lauthals rufen: „Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!“ Genauso müsste man sich an den Kopf greifen, würde jemand im Prater beim Einsteigen in ein Fahrgeschäft lässig mit seinem Pilotenschein winken. Und selbst, wenn man sich über einen Verkäufer ärgern muss, der durch Inkompetenz oder Desinteresse glänzt, sollte man sich mit Aussagen wie „Ich bin selbst im Verkauf tätig“ zurückhalten, um sein Missfallen darüber kundzutun. Denn alles in allem ändert man mit der Nennung von Berufsstand oder Ausbildung rein gar nichts. Wobei, besagter Jurist musste letztendlich die drei fraglichen Getränke tatsächlich nicht bezahlen. Ob sich diese Reduktion des ursprünglichen Rechnungsbetrags allerdings auf seine rechtliche Kompetenz zurückführen ließ? Denn irgendwann lässt man solche Gäste einfach ziehen, um seine Ruhe zu haben. Ich muss das wissen, ich war selbst mal Kellner.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.