Die Republik der Gerichtsgutachter

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Experten-Allmacht. Wer berät die Richter? Und wie?

Selbst der größte Strafprozess, den die Republik je gesehen hat, der ein Jahr dauernde Bawag-Prozess, drehte sich monatelang nur um eine Person: Gemeint ist nicht Helmut Elsner, sondern der Gerichtsgutachter, der Grazer Wirtschaftsprüfer Fritz Kleiner. Ein von der Verteidigung forcierter, in der österreichischen Justizgeschichte einzigartiger Fragen-Marathon („1000 Fragen“) sorgte dafür, dass die Verhandlung zur Gutachter-Schlacht wurde.

Und nun die „Causa Friedrich“. Wieder beschäftigen Gerichtsgutachten, diesmal psychiatrische Expertisen aus Kindesmissbrauchs-Prozessen die Öffentlichkeit. Dass bestimmte Friedrich-Gutachten „falsch“ seien, wie behauptet wird, ist Unsinn. Ein psychiatrisches Gutachten kann nie ganz falsch oder ganz richtig sein. Die Frage ist, ob Angeklagte durch diese Gutachten – sie beruhen auf Angaben der vergewaltigten Opfer (oft sind das Kinder) – zu unrecht belastet erscheinen. Zwei bereits abgeschlossene und dann wieder aufgenommene Missbrauchs-Prozesse lassen dies zumindest befürchten. Denn: Eine Wiederaufnahme endete immerhin mit Freispruch, eine andere läuft noch. Natürlich sind es immer die Gerichte (und nicht die Gutachter), die ein Urteil zu verantworten haben. Und doch gelten Sachverständige als die heimlichen „Richter“. Der als Gutachter-Papst bekannte frühere Präsident des Oberlandesgerichts Wien, Harald Krammer, sagte einmal zur „Presse“: „Die Allmacht des Sachverständigen ist ein notwendiges Übel.“ Und: „Der Sachverständige stellt Augen und Ohren des Richters dar. Dort, wo Wissen des Richters versagt, schaut er durch Augen des Sachverständigen. Doch wie uns unsere Augen manchmal täuschen, täuschen uns die geliehenen Augen. Das ist fatal.“

„Geliehene Augen“ gibt es viele: Zwischen 9000 und 10.000 Gutachter sind verfügbar. Es gibt scheinbar keine Sparte, die es nicht gibt. In der „Gerichtssachverständigenliste“ des Justizministeriums finden sich exotisch anmutende Gebiete wie „Arbeiten der Schildermaler, Schriftenmaler, Vergolder und Staffierer“, „Saunawesen“, „Biere, Bierbrauerei, Malzprodukte“, „Mädchenoberbekleidung“, „Essigerzeugung“, „Pflanzensoziologie“, „Rodelsport“, „Schweine“, „Teigwaren“ oder „Wünschelrutengänger“. Nimmt man sich das Fachgebiet „Unbelebte Natur“ vor, stößt man auf Untergruppen, wie „Schamott, Terrakotta“.

Prüfung vor einer Kommission

Wie wird man Gerichtssachverständiger? Vorausgesetzt man kann Berufspraxis und nötige Ausstattung nachweisen, muss man eine Prüfung vor einer dreiköpfigen Kommission (ein Richter, zwei Fachkundige) ablegen. Bei Bestehen kommt man für fünf Jahre auf eine Gutachterliste, die von den Landesgerichten geführt werden. Vor Ablauf der fünf Jahre muss ein Verlängerungs-Antrag gestellt werden. Dabei sind bisherige Engagements anzugeben, zudem muss man erklären, welche Fortbildung man absolviert hat. Stimmt die Kommission zu, findet man sich für weitere zehn Jahre auf der Liste. Danach kann man erneut zehn Jahre anhängen.

Wird man als Sachverständiger reich? Kaum. Freilich kommt es aufs Fachgebiet an. Zu Spitzenverdienern zählen Wirtschaftsexperten. Im Bawag-Prozess belaufen sich die Kosten von drei Gutachtern auf mehr als eine Million Euro – zu zahlen nach Rechtskraft der Urteile von den Verurteilten, haben diese zu wenig Geld, zahlt der Staat. Im Konsum-Prozess betrugen die Kosten zweier Gutachter fast eine Mio. € (ca. 13 Mio. S).

Was ein Psychiater pro Gutachten verdient, lässt sich nur im Einzelfall sagen. Zu geregelten, relativ niedrigen Basis-Sätzen (häufige Ansätze sind 116,20 oder 195,40 €) kommen oft zusätzliche Posten. So können Aktenstudium, Schreibgebühr, Zeitversäumnis gesondert in Rechnung gestellt werden. Und gerade die Psychiatrie ist ein weites Feld. Wie sagte kürzlich der Vizepräsident der Richtervereinigung Manfred Herrnhofer: „Die Psychiatrie ist eine Wissenschaft, wenn Sie zwei Wissenschafter zusammenbringen, haben Sie wahrscheinlich drei unterschiedliche Ansichten.“

AUF EINEN BLICK

Zwischen 9000 und 10.000 Gerichtsgutachtergibt es. Die fachspezifisch ausgebildeten „Gehilfen“ der Gerichte gelten als „heimliche Richter“. Ihre Expertisen sind oft wichtigste Entscheidungsgrundlage vor Urteilsverkündung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2008)

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