Weihnachten im Flüchtlingsheim: Ein Abend heile Welt

Im hessischen Oberursel stellte die internationale Kinderhilfsorganisation World Vision in Zusammena
Im hessischen Oberursel stellte die internationale Kinderhilfsorganisation World Vision in Zusammenaimago/epd
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Ob Moslems oder Christen – dieser Tage finden in etlichen Flüchtlingsquartieren Weihnachtsfeiern statt. Vom Deutschlernen mit „Leise rieselt der Schnee“, und arabischen Kindern, die das Christbaumschmücken nicht erwarten konnten.

Die glänzenden Kinderaugen. Ein rührseliges Klischee, mit dem man zu oft von Weihnachten berichtet. Aber wenn man den kleinen Mohammed − der Name steht auf einem Aufkleber an seinem Pullover − sieht, wie er in den abgedunkelten Raum kommt, Mund offen, Augen groß, und den beleuchteten Christbaum mit den Packerln davor anschaut, dann ist das so ein Moment, zu dem rührselige Klischees schon passen.

Mohammed, ein Bub von vielleicht fünf Jahren, ist eines von rund 25 Kindern von Asylwerbern, die vergangenen Donnerstag ihr meist erstes Weihnachtsfest erlebt haben. Der erste Christbaum, der im Halbdunkel leuchtet, als die Kinder hereingerufen werden, das erste Mal gemeinsam deutschsprachige Weihnachtslieder singen. Und das erste Mal doch nur darauf warten, dass der quasi offizielle Teil vorbei ist, dass es Zeit ist, die Packerl auszupacken,

Mohammed lebt, wie rund 80 andere Asylwerber, im Haus Vindobona: ein Pavillon am Gelände des Otto-Wagner-Spitals auf der Baumgartner Höhe, in dem seit dem Herbst vor allem Familien leben, die in Grundversorgung sind – die also zum Asylverfahren zugelassen wurden und nun auf dessen Ausgang warten. Das Haus wurde Anfang Oktober für Flüchtlinge geöffnet. Entsprechend kurz sind die meisten Bewohner erst in Österreich, entsprechend rudimentär sind ihre Deutschkenntnisse.

„Ihr Kinderlein kommet“, „O du fröhliche“ – damit beginnt die Feier. Der Text sitzt noch nicht ganz, zur Unterstützung beim Singen und Musizieren sind etliche freiwillige Helfer und eine Klasse des Gymnasiums Klosterneuburg gekommen. Sie hatten nach einer Möglichkeit gesucht, im Advent etwas für Flüchtlinge zu tun – und sind so in das von der Caritas betreute Haus gekommen. „Leise rieselt der Schnee“ – „das singen wir jetzt erst einmal nicht, wir wollen allen die Möglichkeit geben, mitzumachen“, sagt Christina, eine Frau aus der Pfarre, die die Feier leitet.

Und fordert alle erst einmal auf, die Melodie zu summen. „So, wie wir das im Deutschkurs gelernt haben.“ Erst alle, dann nur die Frauen, dann nur die Männer. Eine Frau mit Kopftuch filmt das Spektakel in dem Aufenthaltsraum im Keller des historischen Pavillons. Ein Bub geht herum und dreht ein Handyvideo, er wolle es „nach Hause schicken“, sagt er später.

„Klingelingeling“, das nächste Lied, da sitzt der simple, ebenfalls im Deutschkurs geübte Text. Eine Frau mit einem Neugeborenen auf dem Arm betritt den Raum, sechs Tage ist das Mädchen alt – und es verschläft das laute Geklingel der Kinder genauso wie den Abschluss, das gemeinsame „Stille Nacht“. „Weihnachten“, sagt Einrichtungsleiterin Philippa Wotke dann, „ist für uns eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Fest. Für uns ist es etwas Besonderes, das heuer mit Ihnen feiern zu dürfen. Weihnachten ist ein Fest der Hoffnung, und wir wünschen uns, dass es auch für Sie ein Fest der Hoffnung ist – und dass die Zukunft für Sie viel Gutes bringt“, sagt sie auf Deutsch, Dolmetscher übersetzen.


Ein Christkind auf Besuch.
Ein frommer Wunsch, die 80 Bewohner des Hauses stecken mitten in ihrem Asylverfahren. Wie es für sie weitergeht, das ist ungewiss. Aber an diesem Abend scheint die Stimmung froh und unbeschwert. „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, das hier ist ein gutes, sehr positives Haus. Danke, dass Sie Ihr Bestes geben“, sagt Wotke, die für die Caritas mehrere Unterkünfte verantwortet. „Thank you, thank you to this lady forever“: Ein Syrer steht auf, überreicht Wotke einen Blumenstrauß, Applaus der Bewohner. „Ich bin hier glücklich, sehr glücklich“, sagt Nabel Sinan, der die Blumen überreicht hat, später. Seit zwei Monaten ist er in Österreich, er hat in Dubai und Sharm el Sheikh gelebt; um nach Europa zu kommen, sei er acht Stunden lang die fünf Kilometer vom türkischen Bodrum nach Griechenland geschwommen, auf dem Balkan sei ihm dann alles gestohlen worden, erzählt er in fließendem Englisch. In Österreich möchte er am liebsten unterrichten. „Kinder sind das Wichtigste, ich liebe Kinder, gerade hier, sieh sie dir an, sie sehen aus wie Engel, hier ist jeder ein Engel“, sagt er.

Für die Kinder kommt endlich der Höhepunkt, einzeln werden sie gerufen und bekommen ihr Packerl. Spiele, Laufräder, Puppen, Lego, Fahrräder. Wochen zuvor haben sie ihre Wünsche abgegeben, über die „Christkindlbrief“-Aktion der Caritas wurden diese an Freiwillige geschickt, die sich via Internet bereit erklärt hatten, einen Weihnachtswunsch zu erfüllen. Eines dieser „Christkindl“ ist auch persönlich gekommen. Sie habe einen Wunsch zugeteilt bekommen, sagt eine ältere Dame, nun sei sie gekommen, um bei der Bescherung dabei zu sein.

Und freut sich darüber ebenso wie die staunenden Kinder. Die meisten zumindest, denn manch ein Drama, das sich bei Bescherungen eben so abspielt, gibt es auch im Flüchtlingsquartier. Ein Mädchen aus Somalia versteckt sein Gesicht verzweifelt weinend im Rock der Mutter. Sein Packerl hat es nicht einmal aufgemacht. Seit es die Räder der anderen gesehen habe, wolle es auch eines, sagt die Mutter in bruchstückhaftem Deutsch. Ein Wunsch ans Christkind, der einem erst zu spät einfällt und nicht erfüllt wird – an diesem Abend scheint das das größte Drama unter den Flüchtlingen zu sein. Dass es ungewiss ist, ob oder wo das Mädchen nächsten Frühling Fahrradfahren lernen wird – vier von zehn Asylgesuchen von Somaliern werden im Schnitt abgelehnt –, daran will bei der Weihnachtsfeier niemand denken.


Die Neuen sind sehr offen. „Weihnachten“, sagt Philippa Wotke, „feiern wir in allen unseren Häusern. „Das wird super angenommen, vor allem die neuen Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten gekommen sind, sind da sehr offen. In den Einrichtungen fällt jede Aktivität auf fruchtbaren Boden.“ Während Asylwerber früher vielleicht skeptischer waren, seien vor allem Syrer sehr offen. Erst einmal, sagt Wotke, die seit Jahren in der Betreuung von Asylwerbern arbeitet, sei ihr in Erinnerung, dass ein muslimischer Vater seinem Kind verboten habe, an einer Weihnachtsfeier teilzunehmen.

Auch an diesem Donnerstag sind nicht alle 80 Bewohner zur Feier gekommen – aber die, die da sind, beteiligen sich mit Begeisterung. Lebkuchen, Kuchen, Punsch oder Chai stehen bereit, unter Applaus wird das Festmahl aufgetragen: Fatousch, gefüllte Weinblätter, ein Syrer trägt ein Blech herein, darauf ein Berg aus Hühnerfleisch, Reis und Cashewnüssen. „Frohe Weihnacht and ein gutes neues Jahr. Aus Syrien vielen Dank Österreich“ (sic!), steht auf einem Schild, das mit Zahnstochern darin steckt.

Es wird ein lautes, buntes Weihnachtsmahl mit Plastiktellern, teils im Stehen, zwischen Kindern, die mit neuem Spielzeug toben, und einem Gewirr aus verschiedenen Sprachen. Ob das sein erstes Weihnachtsfest sei? Die Frage erstaunt Ali, den Vater des sechs Tage alten Mädchens. „Nein, wir haben im Irak auch gefeiert.“ Mit einem Christbaum und Geschenken? „Ja, nur war unser Baum kleiner.“ Sie sind Moslem? – Immerhin trägt seine Frau Kopftuch. „Ja. Wo ist das Problem?“, sagt er, lacht.

Im Irak war der Baum kleiner.
„Die Verrückten vom Daesch sind das Problem, wir brauchen kein Problem miteinander. Wir sind Moslems, aber wir feiern Weihnachten, wir sind nicht so verschieden“, sagt er. Und erzählt die Geschichte seiner Familie. Vom Krieg im Irak, seinem Vater, einem General, vom Leben in Basra, von den Bomben auf das Haus der Familie, vom Weg nach Europa.

Feiern wie jene zu Weihnachten sind angesichts solcher Geschichten in Flüchtlingsquartieren eine willkommene Abwechslung. Zumindest in kleineren Häusern. Oder dort, wo sie Flüchtlinge selbst einfordern. So war es zum Beispiel in der SOS-Kinderdorf-Gruppe in Ebreichsdorf der Fall, wie deren Leiterin, Andrea Schritter, erzählt. Die 14 Kinder und Jugendlichen aus Syrien, Afghanistan und der Mongolei – die Jüngste ist sieben, der älteste Bursche 17 Jahre alt − sind erst im Oktober in die WG eingezogen. Seither besuchen die Schulpflichtigen unter ihnen, trotz mangelhafter Deutschkenntnisse, die örtlichen Schulen.


Der Baum ist schon geschmückt. Und dort war das große Thema der vergangenen Wochen natürlich die Vorweihnachtszeit und ihre Feste: Sankt Martin, Nikolaus und eben Weihnachten. Die Älteren, die nicht mehr in die Schule gehen, sondern nach Wien zum Deutschkurs fahren, seien in der Stadt gern auf Sightseeing-Spaziergängen unterwegs. Und da hätten es ihnen vor allem die weihnachtlich beleuchteten Plätze angetan, von denen sie oft mit Fotos zurückkommen.

Die Kinder seien mit so einer Freude bei der Sache, sagt Schritter, dass in der WG mittlerweile ein geschmückter Christbaum stehe, weil die Kinder und Jugendlichen darauf nicht mehr bis zum 24. Dezember warten wollten. Für den Heiligen Abend selbst sei nun ein großes Fest geplant, bei dem auch die Familien der Betreuer dabei sein werden. Mit mongolischer Suppe, afghanischem Eintopf und österreichischem Gulasch. Nur der religiöse Aspekt des Weihnachtsfestes, so Schritter, solle dabei weniger im Vordergrund stehen. Und so unterscheidet sich das Fest vielleicht gar nicht so sehr von dem vieler „gewöhnlicher“ österreichischer Familien.

Quartiersuche

Im Haus Vindobona auf der Baumgartner Höhe sind seit Anfang Oktober rund 80 Asylwerber untergebracht, es ist ein Haus für Familien in Grundversorgung.

In Summe leben in Wien laut Fonds Soziales Wien derzeit (Stand Freitag) 18.164 Menschen in Grundversorgung, sind also zum Asylverfahren zugelassen und warten auf dessen Ausgang.

Täglich wurden in Wien zuletzt 20 bis 50 Asylanträge pro Tag gestellt – vor Kurzem waren es noch 400 pro Tag. Trotz leichter Entspannung läuft die Quartiersuche weiter auf Hochdruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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