Der Neusiedler See lässt sich an einem Wochenende leicht umradeln. Wer Ungarn ausspart, verpasst den schönsten Teil der Strecke.
Ziemlich genau 135 Kilometer. Das klingt nicht nach viel. Oder vielleicht doch? Es ist das Einschätzen, das einem den Anfang der Tour schwer macht. Stadtradler, die wir sind, haben wir selten einen Weg länger als von Währing nach Favoriten absolviert. Aber der Plan steht. Wir werden an einem Wochenende um den Neusiedler See fahren. Den ganzen. Ohne die Abkürzung mit der Fähre, die einen von Illmitz nach Mörbisch bringt. Wir radeln von Neusiedl über Podersdorf bis nach Ungarn und auf der anderen Seeseite wieder zurück. Im Tourplaner steht, dass ein geübter Radfahrer die Tour an einem Tag schaffen kann. Wir buchen lieber über eine Plattform eine Nacht in einer ungarischen Pension.
Mit dem Rad geht es zum Hauptbahnhof und von dort mit dem Zug nach Neusiedl. Das funktioniert überraschend problemlos. Nach 45 Minuten sind wir da. B10 heißt der Neusiedler-See-Rundradweg, die Markierung finden wir zwar nicht, aber so viele Möglichkeiten hat man vom Bahnhof weg eh nicht. Innerhalb kurzer Zeit fahren wir auf asphaltierten oder fein gekiesten Radwegen, zur rechten der See, zur linken Büsche, und dort, wo nichts ist, sieht man eine Ebene bis zum Horizont.
Nicht umsonst ist das Burgenland ein Radlerparadies. Wer es nicht gewöhnt ist, Höhenmeter zu fahren, ist hier echt glücklich. Die alten Stadträder schaffen die Strecke problemlos. Immerhin ist der Weg auch für Familien gut geeignet. Kinder, die Schilfrohre wie Fahnen an ihr Rad geheftet haben, gehören hier zum Standardgegenverkehr. Alle paar Meter gibt es Hochstände, in denen man über die Steppenlandschaft schauen kann. Die Fauna wechselt von Ponys über Graugänse, die selbstbewusst die Straße queren, zu Greifvögeln und Mangalitzaschweinen.
Die erste Pause gibt es in Illmitz. Das ist zwar von der Route entfernt, aber Sitzen ist am See halt schöner. Außerdem haben sie dort Somlauer Nockerl, eine burgenländische, eigentlich ungarische Spezialität aus drei Schichten Biskuit. Danach haben wir Stress, es ist bereits sechs Uhr. Je näher wir der Grenze kommen, desto weniger Menschen kommen uns entgegen – und desto schlechter werden die Radwege. Die Sonne geht unter, und wir erreichen Fertöd. Der Ort sieht verlassen aus. Unsere Pension ist es nicht. Die ungarische Hausherrin bringt uns in ein hübsches Apartment für wenig Geld und serviert am nächsten Tag Frankfurter zum Frühstück und starken Kaffee. Wir können es brauchen. Nachdem wir einen kurzen Abstecher ins Schloss Esterhazy gemacht haben, radeln wir weiter, vorbei an hübschen Häusern, vor allem aber zwischen schönen Waldstücken, großen Bäumen, dichten Büschen. Das ungarische Wegstück ist definitiv der schönste Teil der Strecke.
Strampeln über den Hügel. Es ist auch der anstrengendste. Von Ungarn müssen wir einen größeren Hügel überqueren, um wieder Österreich zu erreichen. Das Strampeln ist anstrengend, aber was für ein Ausblick. Kilometerweit sehen wir über den See, die Felder und Wiesen dahinter, die schon so viel erlebt haben. Kurze Pause in Mörbisch am See. Über Rust zieht sich der Weg hinein ins Land, mühsam wird es ab Donnerskirchen. Das Navi sagt, eine Stunde, wir brauchen fast zwei. Es ist keine schöne Strecke mehr, und die Kraft ist auch aus. Endlich erreichen wir Neusiedl – und essen wieder Somlauer Nockerl. Stolz sind wir, wir Stadtradler. Die Strecke hätte uns ohnehin jeden Planungsfehler verziehen.
Rundweg
B10 heißt der Neusiedler-See-Radweg. Der 135 Kilometer lange Radweg lässt sich in zwei Tagen leicht bewältigen. Der Radweg ist gut ausgebaut, eben und ist auch mit Stadträdern leicht befahrbar. Wer übernachten will, sollte sich besser im Voraus eine Unterkunft suchen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2016)