Amokfahrer-Prozess: "Geschworene wissen, was sie tun"

Szene aus dem Prozess von vergangener Woche, im hellen Anzug der - nicht rechtskräftig - Verurteilte
Szene aus dem Prozess von vergangener Woche, im hellen Anzug der - nicht rechtskräftig - VerurteilteAPA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL
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Bei einer ORF-Diskussion verteidigten Justizministerium und Anwälte das Urteil von vergangener Woche.

Der Grazer Amokfahrer-Prozess sorgt weiter für Debatten. Bei einer Diskussion über Geschworenenprozesse hat der ORF Sonntagabend in der Sendung "Im Zentrum" das Urteil Revue passieren lassen.

Gerhard Jarosch von der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte meinte, dass es bei Geschworenenprozessen zwei "Pferdefüße" gebe: Zum einen werde den Laien eine große Verantwortung übertragen. Zum anderen müssen Geschworene nur einen Schuldspruch und keine Beweiswürdigung wie etwa die Berufsrichter vorlegen. Das mache es für den Obersten Gerichtshof schwerer, die Urteile anzufechten.

Bernhard Lehofer, Anwalt der Eltern eines Opfers der Amokfahrt, gab Jarosch in punkto Anfechtung recht, meinte aber, dass er in den Jahren bei Gericht immer den Eindruck hatte, "dass Geschworene wissen, was sie tun". Christian Pilnacek, Sektionschef für Strafrecht im Justizministerium, erklärte einen weiteren Vorteil von Geschworenenverfahren: Bei ihnen würde der Beweiswürdigung und den Befragungen mehr Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt. "Diese Verfahren waren schon oft in Diskussion, aber sie sind Grundbestand der österreichischen Verfassung." Jarosch nannte als Alternative eine Mischform, etwa eine wie in Deutschland - dem großen Schöffensenat. Dabei würden die Laien auch bei der Urteilsfindung und nicht nur bei der Strafbemessung Hilfe von den Berufsrichtern bekommen.

Problem: Geringes Honorar für Gutachter

Psychiaterin Adelheid Kastner meinte auf die Frage der Moderatorin Ingrid Thurnher, ob der Geisteszustand zum Tatzeitpunkt im Nachhinein nicht immer schwer einzuschätzen ist, dass Gutachten vor allem Zeit brauchen. Gerade das könnte aber ein Problem sein, denn das Honorar für eine Expertise liege bei unter 200 Euro. "Kann der Preis da nicht mit der Sorgfaltspflicht kollidieren?" wollte Thurnher wissen. Kastner meinte, wenn jemand Gutachter ist, dürfe das Honorar nicht ausschlaggebend sein: "Mit der Stoppuhr kann man nicht arbeiten." Dass sie als Sachverständige zum Beispiel 300 sorgfältige Gutachten pro Jahr macht, könne sie sich nicht vorstellen, obwohl sie oft auch abends und am Wochenende arbeite. Pilnacek meinte zu "dauerbeschäftigten" Gutachtern, dass es zu wenig Auswahl geben würde: "Das hängt von der Honorierung ab, aber auch von den Med-Unis." Diese würden zu wenig Fachärzte ausbilden.

"Das Verfahren wurde einwandfrei geführt"

Der Gerichtsstandort Graz war im Vorfeld und auch noch während des Prozesses von manchen kritisch betrachtet worden. Pilnacek erklärte, dass das Gesetz den Standort nach dem Tatortprinzip vorgibt: "Es gab keinen Anhaltspunkt, dass Stimmungen mitgeschwungen sind oder dass nicht in Graz verhandelt werden könnte." Ein anderer Standort sei auch für die zum Teil gehbehinderten Opfer schwieriger zu erreichen gewesen. "Die Justiz hat sich nicht schlecht verhalten", hielt er fest. Jarosch unterstrich seine Ansicht: "Das Verfahren wurde einwandfrei geführt." Alen R.s Verteidigerin Liane Hirschbrich sagte, sie habe keinen anderen Standort beantragt, weil ihr Mandant bis zuletzt gehofft hatte, dass sich Zeugen melden, die damals ebenfalls Schüsse gehört haben und damit seine Verantwortung stützen.

Liegen Formalmängel vor?

Obwohl der vorsitzende Richter den sogenannten Wahrspruch der Geschworenen nicht aufgehoben hat - dazu hätte er rechtlich gesehen die Möglichkeit, wenn er meint, dass sie sich geirrt haben - liegt das Urteil demnächst beim Obersten Gerichtshof (OGH), denn Hirschbrich hat Nichtigkeitsbeschwerde angekündigt. Sie will ihren Mandaten nicht im Gefängnis, sondern in einer Anstalt sehen. Der OGH muss nun entscheiden, ob Formalmängel vorliegen. Er könnte das Urteil aufheben und die Verhandlung müsste von einem neuen Gericht wiederholt werden. Lehofer meinte aber, er halte die Nichtigkeit für wenig aussichtsreich.

Kastner versuchte den Unterschied der Einweisungsformen zu veranschaulichen: "Das ist kein Vergleich Äpfel mit Birnen, sondern wie Äpfel mit Fahrrädern." Ist der Amokfahrer nicht zurechnungsfähig komme er in eine "spitalsanaloge" Einrichtung. Die sei ebenfalls eine geschlossene Einrichtung, im Vordergrund stehe der medizinische Aspekt. Wird Alen R. aber - wie nun von den Geschworenen - für den Tatzeitpunkt zurechnungsfähig erklärt, bekommt er eine Strafe und parallel zu ihr werden die Maßnahmen vollzogen. Das heißt, der Verurteilte kommt in eine Gefängnisstruktur mit therapeutischen Maßnahmen: "Die Justizwache ist da aber sehr präsent und bestimmt den Alltag. Medizinisches steht nicht im Vordergrund." Die Psychologin stellte auch klar, dass eine Schizophrenie nicht heilbar, sondern nur behandelbar ist.

(APA)

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