Wie man Kindern den Tod erklärt

Angela Siquans
Angela Siquans(c) Clemens Fabry
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Wenn Papa plötzlich stirbt, stellen Kinder für Erwachsene klare wie verstörende Fragen: "Wo ist er jetzt?" Trauerbegleiterin Angela Siquans hilft, wenn den Hinterbliebenen die Antworten auf den Tod zu viel sind.

Der Vater des fünfjährigen Paul ist tot. Er nahm sich selbst das Leben, was es seiner Mutter Karin und der nächsten Verwandtschaft nicht gerade leichter machte. Aus Furcht davor, dass Paul nach dem Warum fragen könnte, und aus der Annahme, dass der Kleine den Tod seines geliebten Vaters ohnedies nicht verkraften würde, sagten sie ihm nichts, besprachen sich hinter verschlossener Tür in der Küche, schickten Paul spielen. Dennoch wusste er, was los war. Einem emotionalen Seismografen gleich sog Paul, ohne je darüber informiert worden zu sein, die tiefe Trauer jener Erwachsenen auf, die zwar körperlich bei ihm, in ihren Gedanken jedoch ganz woanders waren. Papa ist etwas passiert, das fühlte er klar und deutlich. Und dass die Erwachsenen nicht mit ihm sprachen, konnte nur einen Grund haben: „Ich bin schuld.“

In der modernen Gesellschaft ist für den Tod kein Platz. Die unverrückbare Endlichkeit des Lebens passt nicht ins Wohlfühlkonzept eines Systems, in dem man scheinbar alles kaufen kann. Selbst in funktionierenden Familien verzichtet man immer öfter darauf, die knappe gemeinsame Zeit zwischen Feierabend und TV-Hauptabendprogramm mit Gesprächen über Dinge zu füllen, die nicht so angenehm sind. Der Tod gehört wie die Geburt zum Leben und wird trotzdem immer mehr zum Tabu. Das trifft vor allem jene, die in guter Absicht möglichst gar nicht mit ihm konfrontiert werden: die Kinder.


Der Tod ist zumutbar. Angela Siquans kämpft dafür, dass Kinder dem Tod in ihrer nächsten Umgebung wieder ungeschönt begegnen, um altersgerecht und würdevoll trauern zu können. „Tod und Trauer sind ihnen zumutbar, man muss nur offen und ehrlich darüber sprechen“, lautet ihr Credo. Um es umzusetzen, greift sie ängstlichen oder hilfsbedürftigen Eltern auch unter die Arme. Gemeinsam mit ihrem Team der Caritas der Erzdiözese Wien betreibt die 55-Jährige wenige Kilometer nördlich der Bundeshauptstadt eine geschlossene Gruppe für trauernde Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren, die einen geliebten oder nahe stehenden Menschen durch den Tod verloren haben. Alle zwei Wochen treffen sie sich in Wolkersdorf und stellen Fragen, auf die ihre Eltern keine Antworten finden. „Wo ist Papa jetzt?“, wollen sie am häufigsten wissen.

Besonders schwer für hinterbliebene Elternteile wird es, wenn die Sprösslinge Fragen stellen, die für Erwachsene zwar logisch klingen, die sie selbst aber nie formulieren würden und die ihnen die bittere Endgültigkeit des Todes auf brutale Art und Weise vor Augen führen. „Ist der Mama im Grab denn nicht kalt?“, lautet eine von ihnen, eine andere: „Wer kocht jetzt eigentlich für uns?“

Für Siquans und ihr Team bedeutet Trauerbegleitung für Kinder, sich genau diesen Fragen zu stellen, offen und ehrlich darüber zu sprechen und gleichzeitig zuzugeben, dass auch sie keine absolut gültigen Antworten darauf haben. „Wichtig dabei ist nur, dass man keine falschen Bilder entstehen lässt“, sagt sie. Etwa, wenn man die Frage, warum die aufgebahrte Oma denn die Augen nicht mehr aufmache, damit beantwortet, dass diese nur schlafe. Siquans kennt zahlreiche Kinder, die seitdem Angst vor dem Schlafengehen haben.

Entstanden ist die Trauerbegleitung für Kinder aus den Erfahrungen der mobilen Hospizarbeit für Erwachsene. Die freiwilligen Helfer der Caritas beobachteten in den vergangenen Jahren immer häufiger, dass – wenn junge Väter oder Mütter infolge von Krebserkrankungen oder Verkehrsunfällen ihr Leben verloren – sich die hinterbliebenen Partner überfordert fühlten. Überfordert, weil sie selbst von ihrer tiefen Trauer überwältigt waren. Überfordert, weil viele von ihnen selbst als kleine Kinder in ihrer Trauer um einen verstorbenen Angehörigen alleingelassen wurden.

Erlebtes aufarbeiten. Andrea Krist ist es in ihrer Kindheit genauso ergangen. Im Alter von fünf Jahren verstarb ihr Wahlbruder. Aus Rücksicht versuchten ihre Eltern, sie von der Konfrontation mit dem Tod fernzuhalten. Erfahren hat sie es dann doch, und zwar durch Zufall von einem Freund. Die Nachricht traf sie wie ein Dolchstoß. Ihren Kindern wollte sie diese traumatische Erfahrung in jedem Fall ersparen. Beim Tod von Frau Krists Mutter waren Simon und Lea von Anfang an dabei.

Krist erhielt dabei Unterstützung von der Trauerbegleitung der Caritas. Gemeinsam mit der Mutter thematisierten sie in Rollenspielen im Puppenhaus die Krebserkrankung der geliebten Oma, erlebten ihren Tod in den eigenen vier Wänden. „In gewisser Weise habe ich meine eigenen schlechten Erfahrungen von damals so mit meinen Kindern therapiert.“ Behutsam führten sie die beiden Kleinen an die Begegnung mit dem Leichnam der Verstorbenen heran. Die ließen ihren Gefühlen in Worten und Zeichnungen freien Lauf, bis hin zum hemmungslosen Weinen beim Begräbnis.

Heute ist Krist überzeugt davon, den richtigen Weg gewählt zu haben. „Man darf seine eigenen Ängste nicht auf die Kinder übertragen. Wenn man ihnen die Wahrheit behutsam näherbringt, ist das für sie besser, als sie in guter Absicht von all dem fernzuhalten.“ Wie schnell Kinder Fantasien entwickeln und sich selbst für den Tod eines anderen verantwortlich machen, erfuhr sie, als Sohn Simon sich dafür rügte, die Großmutter nicht rechtzeitig vom Rauchen und der daraus resultierenden Krebserkrankung abgehalten zu haben.


Nicht für Gefühle schämen. Angst davor, Kinder damit zu überfordern, brauche niemand zu haben, sagt Siquans. „Warum soll man auch etwas verleugnen, was untrennbar mit dem Leben verbunden ist?“ Es liege allerdings an den Eltern selbst, im Umgang mit dem Tod über den eigenen Schatten zu springen. Wer versuche, stark zu sein und keine Tränen zu zeigen, könne damit bei Kindern verstörende Reaktionen auslösen. „Die fragen sich dann nämlich als Erstes, ob Mama oder Papa den oder die Verstorbene gar nicht gemocht haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2009)

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