Der Jakobsweg durch Wien wächst, bald kommen 100 Schilder und eine Pilgerherberge dazu. Denn man muss nicht bis Santiago gehen, mitunter reichen die 35 Kilometer von Schwechat nach Purkersdorf für einen ambitionierten Pilgertag.
Noch muss man die Schilder suchen. In Schwechat, bei der Brücke auf der Ried, steht einer der wenigen Wegzeiger. „Jakobsweg Österreich, Wien Zentrum. 11,5 Kilometer.“
Das Schild am Weg entlang der Schwechat weist entweder direkt nach Wien, oder auf einen Abstecher zur Jakobskirche Schwechat. Nimmt man die 2,4 Kilometer zur Kirche auf sich, findet man hier die nächsten Schilder mit den Jakobsmuscheln. Eines, das den Pilgern den Weg zur Stempelstelle weist. Draußen, am Vorplatz der Kirche, wacht der Heilige Jakobus als Statue. Hier, kurz hinter der Stadtgrenze, beginnt offiziell der Jakobsweg Wien. Das war nicht immer so. Lange endete der berühmteste Pilgerweg der Welt, der Camino de Santiago, der auf unzähligen Routen durch Mitteleuropa und schließlich durch Spanien nach Santiago de Compostela führt, vor Wien. Die Pilger querten stets die Stadt, aber eine offizielle Route gab es zwischen Jakobskirche Schwechat und Jakobskirche Purkersdorf nicht, sagt Stephan Aigner.
Er ist den Camino vor drei Jahren zum ersten Mal gegangen. Seit ihm auffiel, dass es in Wien keinen ausgeschilderten Weg gibt, hat er sich (mittlerweile als Obmann des Vereins Jakobsweg Wien) daran gemacht, eine offizielle Route zu erarbeiten – und diese um Schilder und Pilgerherbergen zu ergänzen. Vorigen Sommer wurde der Wiener Jakobsweg schließlich offiziell eröffnet, am Stephansplatz, vor dem Manner-Shop, wurde der erste Wegweiser mit der Jakobsmuschel, dem Symbol des Pilgerweges, aufgestellt.
100 Schilder sollen es in Summe werden, die nächsten, sagt Aigner, kommen im Mai. Schließlich seien die Beamten zwar, als es um die Beschilderung durch die Stadt ging, freundlich und kooperativ gewesen – aber dennoch dauert es, bis alle Genehmigungen beieinander sind.
Noch sucht man den Weg selbst. Einstweilen muss man sich den Weg selbst suchen. Die erste Etappe beginnt wie gesagt bei der Jakobskirche Schwechat, hier geht es erst entlang der Schwechat, vorbei an der Raffinerie, an Getreidesilos, durch den Alberner Hafen, schließlich über die Freudenauer Hafenstraße und auf die Donauinsel. Nun immer gerade aus, vorbei an einer Wasserstelle, vorbei an Steinspornbrücke und Autobahnbrücke, erst auf der Schleusenbrücke Wehr 1 geht es über die Neue Donau. Wir folgen dem Weg, queren die Donauuferautobahn und kommen zu einem Pilgerdenkmal, das an den Heiligen Koloman erinnert.
Der war der Legende nach ein irischer Pilger auf dem Weg ins Heilige Land, den man in Stockerau für einen Spion hielt und 1012 hingerichtet hat. Vom Denkmal geht es weiter am Uferweg der Alten Donau, zum Schnitterweg und zum Ende der ersten Etappe: die Herz-Jesu-Kirche in Kaisermühlen.
Etappe zwei führt schließlich in Richtung Innenstadt: Schüttaustraße, Wagramer Straße, Reichsbrücke, immer geradeaus geht es vorbei an der Pfarrkirche zum Hl. Franz von Assisi am Mexikoplatz, der Lassallestraße entlang, vorbei an Prater, Praterstern, entlang der Praterstraße, zum Donaukanal, über Marienbrücke, Schwedenplatz und Rotenturmstraße zum Stephansplatz. Dort kommt man, neben dem Manner-Shop, ins Pilgerbüro „Quo vadis?“. Im Stephansdom bekommen Pilger ihre Stempel im Domshop oder im Beichtzimmer neben dem Eingang. Hier sind täglich Priester anwesend, die gern den Pilgersegen spenden.
Vielleicht gibt er Kraft für die nächsten Kilometer: Etappe drei führt in Richtung Westen. Graben, Kohlmarkt, Michaeler Platz, Hofburg, Heldenplatz, Ringstraße, Mariahilfer Straße, wir queren den Gürtel, vorbei am Technischen Museum, zur Schönbrunner Schlossallee, am Haupteingang des Schlosses Schönbrunn vorbei – hier endet die dritte Etappe.
Nicht zufällig führt die Route durch Wien entlang großer Sehenswürdigkeiten. Sie wurde, sagt Aigner, schon so gelegt, dass es attraktiv ist, durch Wien zu gehen. Zuvor war dem nicht so, da sind die Pilger etwa über die Simmeringer Hauptstraße in Richtung Innenstadt gegangen. Nun ist diese attraktiver – und das ist wohl ein Grund, dass sich Pilger mitunter mehr Zeit lassen: Rund 35 Kilometer lang ist der Weg von Schwechat in die Stadt und nach Purkersdorf – das schafft ein geübter Pilger an einem Tag. Ein Anfänger gehe eher nur 25 Kilometer am Tag. Für Wien empfehle es sich aber, sagt Aigner, sich zwei oder drei Tage Zeit zu lassen.
500 gehen durch Wien nach Santiago. Bald können Pilger, die einen Pilgerpass (den gibt es gegen freiwillige Spende) haben, vielleicht auch in einer offiziellen Pilgerherberge nächtigen. Dort zahlen Pilger nur zehn bis 15 Euro pro Nacht – aktuell berät der Verein mit einem Wiener Orden, ob dieser seine Tore künftig öffnet und zur Jakobsweg-Herberge wird. Bedarf gibt es offenbar: Immerhin 500 Pilger, die weiter bis Santiago gehen, hätten Wien zuletzt etwa pro Jahr passiert.
Viele aber gehen den Weg nur etappenweise. In Wien führt die vierte Etappe von Schönbrunn über die Hietzinger Hauptstraße und die Auhofstraße, schließlich hinunter zum Wienfluss, dem wir bis Purkersdorf folgen. Dort angekommen, geht es zum Hauptplatz, an dessen Ende sieht man die Jakobskirche schon. Der Wiener Weg ist geschafft! Hinter der Kirche wartet eine Statue des Hl. Jakobus – und ein Schild, das den Weg weiter in Richtung Göttweig zeigt. Buen Camino!
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2017)