Experten: Zehn Gebote zur Rechtspolitik

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Für den Ausbau von Alternativen zu Haftstrafen spricht sich die Expertenplattform Netzwerk Kriminalpolitik aus. Auch das Arbeitsverbot für Asylwerber wird kritisiert.

Wien. 14 Experten, Richter, Staatsanwälte, Kriminologen, Soziologen, haben namens des „Netzwerks Kriminalpolitik“ zehn Thesen („zehn Gebote“) zur Rechtspolitik ausgearbeitet. Tenor: Restriktionen gegen Straftäter sollten maßvoller werden. Hier die am Montag präsentierten Vorschläge.

1 „Gute Kriminalpolitik ist rationale Kriminalpolitik.“

„Gute Kriminalpolitik stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat“, meint der Präsident des Straflandesgerichts Wien, Friedrich Forsthuber. Anlassgesetzgebung sei nur ein Placebo für die Öffentlichkeit. Konkret nennt Forsthuber den im Strafrechtspaket 2017 verpackten Anti-Staatsverweigerer-Tatbestand. Experten haben schon bei Begutachtung gemeint, die bestehende Rechtslage sei völlig ausreichend.

2 „Grund- und Menschenrechte bilden den Maßstab des Strafrechts.“

Kriminalität habe immer auch mit Randgruppen zu tun, erklärt der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer. Es gelte, den Zugang zum Recht zu sichern. Insofern solle das Instrument der Verfahrenshilfe („Pflichtverteidigung“) ausgebaut werden. Zwecks Beiziehung von Verteidigern schon zu Beginn der Ermittlungen solle es mehr „Prozesskostenhilfe“ geben.

3 „Die beste Kriminalpolitik liegt in einer guten Sozialpolitik.“

An dieser Stelle übt Birklbauer Kritik an verfehlten Sozial- und Asylgesetzen. Der Umstand, dass für Asylwerber de facto ein Arbeitsverbot gilt, ebne den Weg in Drogen- und Eigentumskriminalität. Kriminalpolitik könne derartige Mängel „nicht kompensieren“.

4 „Strafrechtliche Sanktionen sind maßvoll einzusetzen.“

Hier wird von den Experten der Ausbau des Mottos „Schwitzen statt Sitzen“ gefordert. Derzeit gibt es im Strafrecht die Option, dass Täter, die ihre Geldstrafen nicht zahlen können, gemeinnützige Leistungen erbringen – anstatt ersatzweise in den Arrest zu gehen. Gemeinnützige Leistungen auf freiwilliger Basis seien bei bestimmten Delikten als Primärsanktion zu überlegen, so Forsthuber. Von den etwa 9000 Gefangenen Österreichs seien mehr als die Hälfte nicht so gefährlich, dass einzig und allein Gefängnis infrage komme.

5 „Kriminalpolitik muss Rechtsprechungsunabhängigkeit sichern.“

Hier appelliert das Netzwerk an die Politik, die Justiz nicht zu beeinflussen. In der Praxis ist oft zu hören: Die trivialste Möglichkeit der Einflussnahme sei dadurch gegeben, dass die Verwaltung des Justizpersonals vom Justizressort und damit von einer politisch geführten Stelle abgewickelt werde.

6 „Strafrechtliche Reaktion muss besonderen Bedürfnissen folgen.“

Die ausgearbeitete Reform des Maßnahmenvollzugs (dieser betrifft die „geistig abnormen Rechtsbrecher“) solle endlich umgesetzt werden, fordert Forsthuber.

7 „Kriminalpolitik muss sich Opfern von Kriminalität zuwenden.“

Opferschutz wird von dem Netzwerk unter Einbeziehung der Arbeit mit den Tätern definiert: „Die persönlichen Anliegen von Opfern sollen bei Wahrung ihrer Sicherheitsbedürfnisse nicht zu einer Gefährdung der (Re-)Integration von Straftätern führen.“

8 „Polizeiliches Handeln soll Zusammenleben ermöglichen.“

In diesem Zusammenhang appellieren die Experten an Zivilcourage: Sachliche Kritik an polizeilichem Handeln sei „wünschenswert“.

9 „Integration soll schon während des Strafverfahrens beginnen.“

Würden Therapien schon während der U-Haft angeboten, würde dies eine gesellschaftliche Eingliederung von Tätern erleichtern.

10 „Strafvollzug ist ein Gradmesser für gesellschaftliche Reife.“

Hier bricht das Netzwerk eine Lanze für „soziales Lernen“ hinter Gittern. Es brauche Tagesstrukturen. Letzteres ist Verantwortlichen ohnedies klar, scheitert aber an Personalmangel. In manchen Gefängnissen müssen alle Häftlinge ab 14.30 Uhr in ihren Zellen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2017)

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