„Ich will nicht zur Last fallen“

Alois T. und Caritas-Präsident Michael Landau unterhalten sich im Marienstüberl.
Alois T. und Caritas-Präsident Michael Landau unterhalten sich im Marienstüberl.(c) Caritas
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14,4 Prozent der Österreicher sind armutsgefährdet. Im Grazer Marienstüberl der Caritas essen all jene, die sich neben ihrer Wohnung nicht mehr viel leisten können.

Graz. Am Ende des Tages geht es sich einfach nicht aus. Alois T. sitzt im blau-grau-weiß gestreiften Pullover im Marienstüberl in Graz und erzählt, warum ihm mit seiner kleinen Pension nicht genug für Essen übrig bleibt. „Ich will meiner Familie nicht zur Last fallen. Wenn es geht, dann will ich ihnen helfen“, sagt der 66-Jährige. Er hat fünf Kinder und zwei Enkelkinder. Bis zu dreimal am Tag kann er im Marienstüberl der Caritas essen, sich hier mit Menschen treffen. „Hierher zu kommen und andere Gedanken zu haben ist auch gut“, sagt Alois T., der vor sich ein Schachspiel aufgebaut hat. Er ist nicht der einzige Gast, der dort den ganzen Tag verbringt. Jetzt am Anfang des Monats ist der Speisesaal mit rund 20 Personen eher schwach gefüllt. „Am Ende des Monats kommen in der kalten Jahreszeit bis zu 250 Personen am Tag“, sagt Schwester Andrea von den Barmherzigen Schwestern, die das Stüberl mit Schwester Elisabeth betreut.

Zwei Drittel Männer

Zwei Drittel der Menschen, die hier ihren Tag verbringen, sind Männer, ein Drittel Frauen. Die meisten Besucher kommen mittlerweile aus dem EU-Ausland, vor ein paar Jahren war das noch anders. Grundsätzlich, sagt Schwester Andrea, werden es immer mehr Menschen. Das Marienstüberl ist im Marianum untergebracht, dem Caritas-Sozialzentrum, in dem auch die Beratungsstelle zur Existenzsicherung (BEX), die Flüchtlingsrückkehrberatung oder die Marienambulanz untergebracht sind – alles Einrichtungen, die sich ergänzen, um die Schwellenangst für Personen, die Hilfe in Anspruch nehmen müssen, möglichst gering zu halten. „Es ist für eine Person in Not schwierig, sich jemandem anzuvertrauen und intime Details des Lebens zu enthüllen“, sagt BEX-Leiterin Iris Eder. Daher sei das Haus so gestaltet, dass man beim Reingehen nicht wisse, welche Dienste man in Anspruch nimmt.

Wie sie etwa Friedrich Z. (61) gebraucht hat, der in der Marienambulanz auf einem Behandlungssessel sitzt. Eben ist ihm ein Verband gewechselt worden, er leidet unter offenen Beinen. „Die Marienambulanz hat mir das Leben gerettet“, sagt er. Oft genug wollte er ob der Schmerzen nicht mehr – und ohne Versicherung konnte er nicht einfach so in einem normalen Spital behandelt werden. Z. war früher Bankangestellter, bis er „aus dem System ausstieg“. Danach lebte er eine Zeit lang auf der Straße, bis er in einer Notschlafstelle und später in einem Wohnheim wieder etwas Stabilität fand. 22 Verbandswechsel haben die Ärzte des Zentrums mittlerweile vorgenommen, mittlerweile sei er „fast schmerzfrei“. Auch für die Marienambulanz wird mit der neuen Caritas-Spendenkampagne gesammelt, die nun startet.

Laut Zahlen der EU und der Statistik Austria sind derzeit 14,4 Prozent der Bevölkerung Österreichs armutsgefährdet, in absoluten Zahlen sind das 1,25 Millionen. Besonders betroffen sind Kinder: 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren leben in einem armutsgefährdeten Haushalt. Österreich verzeichnet ein Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosigkeit gehe zurück. „Nach wie vor gibt Österreich weniger als ein Prozent seiner Sozialausgaben für die Mindestsicherung aus“, sagte Caritas-Präsident Michael Landau am Montag bei einer Pressekonferenz. Im Übrigen würden nur 1,1 Prozent der Bezieher Missbrauch betreiben. Zum Vergleich: Der Schaden bei Steuerhinterziehung betrage in Österreich geschätzt sechs Milliarden Euro. Auf was er hinauswolle: „Mit Kürzungen der Mindestsicherung werden wir das Budget nicht sanieren können.“ Am Sozialstaat zu sparen bedeute mehr Armut und Ausgrenzung.

So wie bei Elisabetta G., die unten im Marienstüberl sitzt. Sie ist 56 Jahre alt, kam vor 27 Jahren aus Rumänien, hat hier immer in Hilfsarbeiterjobs gearbeitet und ist jetzt wieder halbtags als Putzfrau tätig. Eine Aufstockung zur Mindestsicherung, bekommt sie nicht. Viel Geld bleibt auch ihr nicht. Daher isst auch sie im Marienstüberl – und hilft dort ehrenamtlich. Ihre Familie ist in Rumänien. „Zu Hause wäre es auch langweilig.“

AUF EINEN BLICK

Neue Spendenkampagne. Die Caritas sammelt wieder für ihre Hilfsprojekte, um Menschen, die in Not geraten sind, helfen zu können. Die Kontonummer für die „Caritas Inlandshilfe 2018“ (Kennwort) lautet: AT23 2011 1000 0123 4560, BIC: GIBAATWWXXX, www.caritas.at/spenden

Compliance: Die Reisekosten zu den Grazer Projekten wurden durch Sponsoren der Caritas und der Europäischen Union sowie der ADA im Rahmen des MIND-Projekts getragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2018)

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