Tatort Amt: Wie viel Schutz ist nötig?

Der Tag nach der Tat: Kerzen und Blumen vor dem Eingang der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn.
Der Tag nach der Tat: Kerzen und Blumen vor dem Eingang der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn. (c) APA/STIPLOVSEK DIETMAR (STIPLOVSEK DIETMAR)
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Nach dem Tod des Leiters des Sozialamts in Dornbirn wird über die Sicherheit in Amtsgebäuden diskutiert – und darüber, warum der Täter überhaupt auf freiem Fuß war.

Bregenz/Wien. Der Fall bewegt nicht nur in Vorarlberg: Ein 34-Jähriger, ein türkischer Staatsbürger, tötete am Mittwoch in Dornbirn den 49-jährigen Leiter des Sozialamts. Auslöser war offenbar eine nicht ausbezahlte Mindestsicherung.

Der Mann war in den Tagen zuvor bereits in der Bezirkshauptmannschaft aufgefallen. Er sei „ziemlich aggressiv“ aufgetreten und ins Büro des Leiters vorgedrungen. Obwohl ihm am Mittwoch versichert wurde, dass die Angelegenheit noch am selben Tag erledigt werde, kehrte er zurück – mit einem Küchenmesser. Die Polizei geht von „kaltblütigem Mord“ aus. Der Täter habe in der ersten Einvernahme keinerlei Reue gezeigt, so Norbert Schwendinger vom Landeskriminalamt. Über den 34-Jährigen soll nun Untersuchungshaft verhängt werden.

Ärger über Rechtslage

Der Mann ist kein Unbekannter. Gegen ihn bestand seit 2010 wegen mehrerer Eigentumsdelikte ein Österreich- und EU-weites Aufenthaltsverbot. Erwirkt hatte es der nun erstochene Sozialamtsleiter. Dass es überhaupt zu dem Vorfall kommen konnte, beschäftigt jetzt auch die Politik. Der Mann reiste nämlich Anfang des Jahres illegal wieder ein und stellte einen Asylantrag. Das ist trotz Aufenthaltsverbots möglich, weil jeder Asylantrag geprüft werden muss und ein Aufenthaltsverbot im Asylverfahren grundsätzlich nicht vollstreckt werden darf. Aufgrund des absolut geltenden „Non-refoulement“-Gebots dürfen auch Straftäter nicht abgeschoben werden, wenn ihnen sonst Folter oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Der Mann soll angegeben haben, dass ihm als Kurdenkämpfer in der Türkei die Todesstrafe drohe.

Warum der Mann nicht in Schubhaft genommen bzw. kein beschleunigtes Verfahren eingeleitet wurde, sorgt beim Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) jedoch „für Unverständnis und Ärger“. Laut Innenministerium wäre aber eine Schubhaft nicht möglich gewesen, weil weder das Aufenthaltsverbot (laut Ministerium ist es abgelaufen) noch eine drohende Abschiebung diese gerechtfertigt hätten. Der Mann hätte, so das Ministerium in einer Aussendung, wohl letztlich „geduldet“ werden müssen.

Darüber hinaus hat der Fall eine Debatte über die Sicherheit in Amtsgebäuden mit Kundenkontakt losgetreten. Aggressive Bürger würden die Mitarbeiter zunehmend unter Druck setzen, sagte Wallner. In Vorarlberg plant man zusätzliche Schutzmaßnahmen. Seit Mitte 2018 läuft eine Überarbeitung des Sicherheitskonzepts. Dazu gehören z. B. Alarmtasten und Schulungen – und nun auch mobile Sicherheitsschleusen.

Weiter ist man in der Steiermark, wo es 2013, konkret in Graz, auch eine Messerattacke im Sozialamt gab. 2017 und 2018 wurde ein Sicherheitskonzept für die Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaften umgesetzt. Es beinhaltet u. a. die Ausgabe von 600 Pfeffersprays.

Diese gibt es auch in Wien – jedoch nur bei der Rathauswache. Generell, sagt Andrea Leitner, Sprecherin der Magistratsdirektion, habe man die meisten der jetzt diskutierten Maßnahmen umgesetzt. Bauliche sowie organisatorische. Erstere umfassen z. B. Glastrennwände, separate Eingänge für Kunden und Mitarbeiter, elektronische Schließsysteme, Kameras im Kassabereich. Zweitere betreffen Schulungen oder Securitys, die an „neuralgischen Spots“ – z. B. dort, wo es um Sozialleistungen geht – erkennbar präsent sind.

Wien: Kein Anstieg der Fälle

Von Sicherheitsschleusen wie bei Gericht, also Eingangskontrollen, hält Leitner wenig: „Wien ist nicht für eine Kultur des Einmauerns und Bewaffnens bekannt.“ Dafür gebe es auch keinen Grund, da es „im Vorjahr keine Steigerung von sicherheitsrelevanten Vorfällen in kundenrelevanten Bereichen der Magistratischen Bezirksämter mit Kundenkontakt oder in den Sozialzentren gab.“

Ähnlich sieht man es beim AMS – dort hat man auch genaue Zahlen: „Bei jährlich mehr als 900.000 Kunden gibt es auch Fälle, in denen Kunden aggressiv werden“, sagt AMS-Sprecherin Beate Sprenger. Das sei aber kein neues Phänomen. Was die Zahlen betrifft, habe sich in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert. 2018 habe es 1374 Vorfälle gegeben, 2017 waren es 1458, 2016 wurden 1466 gezählt. Überwiegend habe es sich um verbale Übergriffe von AMS-Klienten auf Personal gehandelt. Zwölf Hausverbote wurden im Vorjahr ausgesprochen, im Jahr davor waren es 17, 2016 waren es 13.

In 72 Fällen wurde 2018 die Exekutive eingeschaltet, 2017 waren es 44 Fälle, im Jahr davor 27. Seit es einige tätliche Vorfälle gegeben habe, habe man in den Ballungsräumen Securitys beauftragt, die in den Eingangsräumen der größeren Einrichtungen Präsenz zeigen.

Als zweite Maßnahme seien die AMS-Mitarbeiter auf Deeskalation geschult. Falls es im direkten Kundenkontakt zu einem Problem komme, könne jeder via Knopfdruck Hilfe holen. „Wir haben die Lage im Griff.“ (APA/uw/eko)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2019)

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