Keine Schuldigen - und noch immer offene Justiz-Fronten

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Der Kaprun-Prozess endete mit Freisprüchen. Für die meisten Angehörigen ist dieser Spruch bis heute wie eine schwelende Wunde. Einige Opfer hoffen noch auf den Menschenrechts-Gerichtshof und kämpfen weiter.

Vernehmen Sie das Urteil im Namen der Republik: Die Beschuldigten werden von den wider sie erhobenen Vorwürfen freigesprochen.“ Als Richter Manfred Seiss am 19. Februar 2004 nach 62 Verhandlungstagen das Urteil im Kaprun-Prozess spricht, ist das für viele Angehörige wie ein Schlag ins Gesicht. „Skandal“, „unfassbar“, „Fehlurteil“ lauten die noch salonfähigen Reaktionen der Familien der Opfer.

Für die meisten Angehörigen ist dieser Spruch bis heute wie eine schwelende Wunde: Aus strafrechtlicher Sicht wurde niemand für den Tod von 155 Menschen in der Gletscherbahn verantwortlich gemacht. „Strafe setzt Schuld voraus“, sprach Seiss in der Urteilsbegründung. Und eine entsprechende Schuld habe das lange Beweisverfahren nicht ergeben.

Staatsanwältin Eva Danninger-Soriat hatte den 16 Beschuldigten fahrlässige Herbeiführung einer Feuersbrunst und fahrlässige Gemeingefährdung vorgeworfen. Die Verantwortlichen hätten beim Neubau und Betrieb der Bahn viel zu wenig auf Brandschutz geachtet, der Heizlüfter im Führerstand der Bahn sei nicht für den Einbau in Fahrzeuge zugelassen gewesen. Die Argumente zogen nicht.

Fatale Kettenreaktion. Für Richter Seiss war eine Verkettung unglücklicher Umstände Ursache für das Unglück: Ein Produktionsfehler im Heizlüfter habe eine fatale Kettenreaktion ausgelöst, die schließlich zum tödlichen Inferno führte. Zuvor gab es allerdings gravierende Pannen im Verfahren – Pannen, die den Gerüchten von Vertuschung und Pfusch, die bis heute nicht verstummen wollen, Nahrung gaben: So hatte sich bei einem Lokalaugenschein in Linz, wo die beiden Zugsgarnituren aufbewahrt worden waren, herausgestellt, dass die Ermittler der Kriminaltechnischen Zentralstelle (KTZ) des Innenministeriums einen ganzen Kofferraum voller Unterlagen, Fotos und Videos hatten, die dem Gericht nicht bekannt waren.

Auch das Ausscheiden des Hauptgutachters Anton Muhr sorgte für Aufregung. Er hatte ohne Wissen des Gerichts Beweismittel im Keller seines Privathauses aufbewahrt und weigerte sich zunächst, diese herauszugeben. Er schied schließlich aus Krankheitsgründen aus dem Verfahren aus. Letztlich wurden eben die Freisprüche gefällt. Das Oberlandesgericht Linz bestätigte diese im September 2005.

Deutsche Gutachter, die für den Heizlüfter-Hersteller tätig waren – und sicher sind, dass an dem Gerät im Rahmen des Einbaus in den Zug Manipulationen vorgenommen wurden –, arbeiteten auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens hin. Bisher ohne Erfolg.

Anwalt Gerald Ganzger von der Wiener Kanzlei Lansky, Ganzger & Partner vertrat ungefähr 70 Angehörige, die sich dem Verfahren als Privatbeteiligte anschlossen. Er brachte zunächst zivilrechtliche Klagen ein und handelte schließlich, gemeinsam mit anderen Anwälten, innerhalb der Vermittlungskommission einen Vergleich für alle Opfer-Angehörigen aus. Ganzger: „Im Ergebnis hat jeder anspruchsberechtigte Angehörige mehr erhalten, als er auch bei bestmöglichem Verlauf in einem Zivilverfahren bekommen hätte.“ An 451 Personen wurden 13,9 Millionen Euro ausbezahlt.

Etliche Angehörige kämpfen weiter. Vertreten etwa durch Anwalt Gerhard Podovsovnik. Er vertritt zirka 80 Betroffene und hat Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eingebracht. „Der EGMR wird um eine Verurteilung der Republik Österreich wegen Verletzung des fairen Verfahrens nicht herumkommen“, meint Podovsovnik. Nur so könnten „die Mandanten endlich Sühne erreichen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2010)

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