Zehn Jahre nach der Brandkatastrophe in der Gletscherbahn in Kaprun fordern Anwälte neue Verfahren. Viele Opfer-Angehörige sind über die rechtliche Aufarbeitung enttäuscht. Man will um Wiederaufnahme kämpfen.
Salzburg. Wenn heute, Donnerstag, Bundeskanzler Werner Faymann zum zehnten Jahrestag der Brandkatastrophe von Kaprun direkt am Ort des Geschehens eine Rede hält, werden für viele Betroffene schmerzliche Erinnerungen wach. In einem Fall ist zudem für eine herbe Enttäuschung gesorgt: Der Wiener Anwalt Gerhard Podovsovnik, Rechtsvertreter Dutzender Opfer-Angehöriger, hat nämlich verlangt, dass Faymann „die moralische Verantwortung der Republik Österreich“ eingesteht. Und dass „die wahren Täter, die Schreibtischtäter“, ein Strafverfahren bekommen.
Das ist aber äußerst unwahrscheinlich. Das Kaprun-Strafverfahren endete bekanntlich mit Freisprüchen aller 16 Beschuldigten. Dennoch will Podovsovnik weiter um eine Wiederaufnahme kämpfen. Er prangert – gestützt auf deutsche Gutachter – „höchst verwerfliche und verbotene konstruktive Veränderungen“ bei jenem Heizlüfter an, der sich im Todeszug entzündet hatte. Laut österreichischen Gerichtsgutachtern wies das Gerät jedoch einen Produktionsfehler auf, weshalb der Richter kein strafrechtliches Verschulden der Angeklagten feststellte.
Zehn Jahre nach dem Inferno sind viele Opfer-Angehörige über die rechtliche Aufarbeitung der Katastrophe, die 155 Menschenleben forderte, schwer enttäuscht. Am meisten schmerzt, dass nach 16 Freisprüchen wegen fahrlässiger Herbeiführung einer Feuersbrunst und fahrlässiger Gemeingefährdung scheinbar niemand Verantwortung übernehmen wollte.
Aktuell fällt aber eine beachtenswerte Stellungnahme der Gletscherbahnen Kaprun AG auf. Darin heißt es: „Der Unfall geschah in der Standseilbahn, die wir betrieben haben. Es geschah in unserem Betrieb, also unter unserer Verantwortung. Zu dieser Verantwortung bekennen wir uns.“ Weiter: „Erst nach dem Unglück wurden Gesetze und Normen geändert. Das Unglück hat international zu besseren Sicherheitsstandards geführt.“ Und schließlich: „Wir bitten alle, die betroffen sind und wohl immer unter der Katastrophe von Kaprun zu leiden haben, von ganzem Herzen um Verzeihung.“
Höhere Entschädigung
Indessen gibt es, wie berichtet, auch anderslautende Rechtsmeinungen zu der Frage, ob es sinnvoll sei, weiter an rechtlichen Fronten zu kämpfen. Opfer-Anwalt Gerald Ganzger etwa steht auf dem Standpunkt, dass die nach dem Unglück eingerichtete Vermittlungskommission gute Arbeit geleistet hat und die Angehörigen von Opfern so höhere Entschädigungssummen bekommen haben, als dies in Zivilverfahren zu erwarten gewesen wäre. An 451 Personen wurden insgesamt 13,9 Millionen Euro ausbezahlt. Allerdings mussten etliche Anspruchsberechtigte nennenswerte Teile davon als Honorar an Anwälte abliefern.
Ginge es nach Podovsovnik, müssten die Gletscherbahnen tiefer in die Tasche greifen – dies sei finanziell machbar, schließlich würden die Bahnen die „Skitourismuskuh kräftig melken und Millionen Euro bezahlen, um in Medien internationale Werbung für schöne weiße Pisten zu machen“.
Auf einen Blick
Kaprun: Familien und Freunde jener 155 Opfer, die vor zehn Jahren im Tunnel der Gletscherbahn auf das Kitzsteinhorn starben, kommen heute zu einer Gedenkveranstaltung zusammen. Vertreter der betroffenen Familien, Bundeskanzler Werner Faymann, Landeshauptfrau Gabi Burgstaller und Kapruns Bürgermeister Norbert Karlsböck erinnern in Reden an die Geschehnisse. Nach einem ökumenischen Gottesdienst wird die Gedenkstätte abgeschirmt, um den Hinterbliebenen Zeit zu geben, abseits der medialen Aufmerksamkeit der Opfer zu gedenken.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2010)