Integrationswillige junge Türken: Studie widerlegt Vorurteil

(c) Mili Flener
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Laut einer Studie der Uni Wien fühlen sich junge Türken eher als Österreicher als Jugendliche mit anderem Migrationshintergrund. Multikulturalität im Alltag wird als selbstverständlich und positiv bewertet.

Wien. Jugendliche mit türkischem Hintergrund sehen sich selbst eher als Österreicher als ihre Altersgenossen mit anderem (etwa osteuropäischem oder nordafrikanischem) Migrationshintergrund. Zu diesem Ergebnis kam unter anderem ein Forschungsprojekt zu dem Thema „Identität und Vielfalt aus der Sicht Wiener Jugendlicher“, das die Universität Wien gemeinsam mit vier weiteren internationalen Universitäten derzeit durchführt.

„Dieses Ergebnis widerspricht anderen Studien, wie etwa der Studie ,Leben in zwei Welten‘ von Hilde Weiss, wonach sich Türken mit der Integration schwerer tun als andere Gruppen“, sagt Vera Schwarz, die mit Projektleiterin Gerit Götzenbrucker am Wiener Publizistikinstitut dazu forscht.

Bei dem Forschungsprojekt wurden einerseits qualitative Befragungen von 50 Arbeiterkindern zwischen 14 und 17 Jahren durchgeführt und wurde andererseits ein Online-Spiel („YouTurn“) entwickelt, das Vorurteile abbauen und Jugendliche untereinander vernetzen soll. Befragt wurden Wiener Jugendliche aus drei Gruppen: jene mit türkischem Migrationshintergrund, mit (süd-)osteuropäischem oder nordafrikanischem Hintergrund (also Repräsentanten einer anderen großen Migrantengruppe) und mehrheitsösterreichische Jugendliche ohne Migrationshintergrund.

Laut dem Zwischenbericht der Studie – diese läuft noch bis 2013 – verfügt mehr als die Hälfte der Befragten mit Migrationshintergrund über eine doppelte Identität, sprich sie sehen sich als Österreicher und Migrant. Etwa ein Viertel fühlt sich nur als Österreicher. Lediglich ein Achtel fühlt sich gar nicht als Österreicher, der Rest will sich nicht zuordnen. Interessant ist dabei, dass sich junge Türken in einem stärkeren Ausmaß als Österreicher betrachten als jene Jugendliche mit einem anderen Migrationshintergrund. So heißt es in dem Bericht: „Insbesondere ist keine Abschottung der MigratInnen und speziell der TürkInnen von der Gesellschaft feststellbar.“

Generell wird bei den Befragten die Multikulturalität im Alltag als selbstverständlich und positiv bewertet, während sich bei allgemeinen Aussagen populistische Diskurse bemerkbar machen. „Aussagen wie ,Das Boot ist voll‘, die von manchen Parteien und Medien gemacht werden, haben auch bei den Jugendlichen ihre Wirkung – bei allen drei Gruppen. Allerdings werden sie eher allgemein getätigt, im Alltag spielt das keine Rolle“, so Schwarz. Zur Vielfalt in Wien äußerten sich alle drei Gruppen positiv, lediglich Österreicher ohne Migrationshintergrund beurteilten diese kritischer.

Klasse wichtiger als Herkunft

Weiters kamen die Studienautorinnen zu dem Schluss, dass die Kategorie soziale Klasse – alle befragten Jugendlichen stammen aus Arbeiterfamilien – eine wichtige Rolle spielt. Immerhin gibt es bei den Erfahrungen und Einstellungen aller drei Gruppen nur wenig Unterschiede. „Das ist eine zentrale Variabel, die mehr berücksichtigt werden muss“, meint Götzenbrucker. Sie wirft damit die Frage auf, dass, wenn es Probleme mit der Integration gibt, diese vielleicht eher mit der Klassenzugehörigkeit zu tun haben können.

Im Rahmen des Projekts wurde auch die Internetnutzung untersucht. „Dabei hat sich gezeigt, dass die befragten Jugendlichen von der Erweiterung der sozialen Netzwerke nur marginal profitieren“, so Götzenbrucker. Das zeige sich auch bei dem Thema Freundschaft. „Da haben Jugendliche ein sehr konservatives Bild. Die Befragten erwarten sich von ihren Freunden Loyalität, Unterstützung und Sicherheit. Netz-Bekanntschaften sind ihnen weniger wichtig.“

Auf einen Blick

„Multikulturalität, Integration und jugendliche Lebenswelten in Wien“ lautet das Thema eines Forschungsprojekts, das die Universität Wien mit vier anderen internationalen Unis durchführt. Dabei wurden Jugendliche mit sowie ohne Migrationshintergrund befragt und wurde ein Online-Spiel entwickelt. Der Zwischenbericht wurde gestern, Mittwoch, bei der Tagung Migrations- und Integrationsforschung präsentiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2012)

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