Zeugen Jehovas: Bald eine echte Kirche?

Massentaufe im Stadion. Am Samstag gibt es eine solche Taufzeremonie auch in Wien.
Massentaufe im Stadion. Am Samstag gibt es eine solche Taufzeremonie auch in Wien.(c) EPA (Sergey Dolzhenko)
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Im Kultusamt läuft ein Verfahren, nach dem die Zeugen Jehovas zur anerkannten Kirche werden könnten. Kritiker werfen der Religions-Gemeinschaft mit rund 21.000 Mitgliedern in Österreich sektenähnliche Züge vor.

WIEN. Ein Mann im weißen T-Shirt schnappt nach Luft. Gerade wurde er in einem Pool vollständig untergetaucht, vor den Augen tausender Zuseher auf den Tribünen eines Stadions. Was martialisch klingt, ist in Wirklichkeit eine Taufe. Eine Taufe, wie sie die Zeugen Jehovas regelmäßig durchführen. Morgen, Samstag, wird es eine solche Taufzeremonie auch im Wiener Ernst-Happel-Stadion geben: Die Zeugen Jehovas halten hier von Freitag bis Sonntag ihren jährlichen Kongress ab.

Man kennt sie als geduldig auf der Straße stehende Männer und Frauen, die zwei Broschüren vor ihre Brust halten – „Wachtturm“ und „Erwachet“. Und viele haben zu Hause auch schon unerwarteten Besuch von ihnen erhalten – mit dem Angebot, über Gott und die Bibel zu sprechen. Etwas skurril muten sie schon deswegen an, die Zeugen Jehovas. Doch die mit rund 21.000 Mitgliedern fünftgrößte Glaubensgemeinschaft Österreichs könnte nun eine staatlich anerkannte Kirche werden.

Seit vergangenem Freitag läuft im Kultusamt des Bildungsministeriums das Verfahren, das über den Antrag entscheidet. Seit zehn Jahren gelten die Zeugen als religiöse Bekenntnisgemeinschaft. Als solche haben sie zwar eine eigene Rechtspersönlichkeit, jedoch nicht die Privilegien, die staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften zustehen – dazu gehören steuerliche Vorteile, aber auch das Angebot von Religionsunterricht in der Schule oder Sendezeiten im ORF.

Freiwilligkeit oder sozialer Druck?

„Eine Bekenntnisgemeinschaft passt nicht für uns als große Religionsgemeinschaft“, sagt Johann Zimmermann, Sprecher der Zeugen Jehovas. Durch eine Anerkennung würde man zur Körperschaft öffentlichen Rechts, die dem tatsächlichen Status besser entspreche. Damit verbundene Privilegien seien sekundär, sagt er. So würde man etwa von der Möglichkeit des Religionsunterrichts in Schulen ohnehin keinen Gebrauch machen. „Die religiöse Lehre liegt in der Familie und bei unseren Zusammenkünften“, erklärt Zimmermann. Auch die Möglichkeit, einen Kirchenbeitrag einzuheben, würde man nicht nützen. Man finanziere sich ausschließlich durch Spenden – anonym und freiwillig. Kritiker sprechen aber davon, dass diese „Freiwilligkeit“ auf starken sozialen Druck baut.

Sozialer Druck, der den Zeugen häufig angekreidet wird. „Die Zeugen Jehovas sind eine Organisation, die ihren Mitgliedern sehr dezidiert mitteilt, was von ihnen erwartet wird, was zu vermeiden ist und welche Konsequenzen eine Nichtbefolgung nach sich ziehen könnte“, sagt German Müller, Leiter der Bundesstelle für Sektenfragen. So entstünden Verpflichtungen, gegen die andere Lebensbereiche zweitrangig werden. Sogar Freundeskreis und soziales Umfeld müssten zu Gunsten der Glaubenslehre und -praxis eingeschränkt werden – es könnte sonst die Situation entstehen, dass man in seinem Glauben gefährdet wird.

„Die Glaubensgrenze“, so Müller, „kann dadurch auch oft zur sozialen Grenze werden.“ Bei der Beratungsstelle gebe es immer wieder Anfragen, doch dass es sich bei der Organisation um eine Sekte handle, lasse sich nicht sagen: „Juristisch gesehen sind Jehovas Zeugen in Österreich eine ,staatlich eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft‘ seit 1998.“

Sechs Monate Wartefrist

Sechs Monate hat das Kultusamt nun Zeit, den Antrag auf staatliche Anerkennung zu prüfen. Dabei wird auch ein Punkt genau behandelt werden: Die Zeugen Jehovas lehnen Bluttransfusionen ab – vor allem bei Minderjährigen hat das einige Male zu Problemen geführt. Doch, so Religionsrechtler Richard Potz, sei dieses Problem mittlerweile im Griff, Kinder würden in diesem Fall automatisch in die partielle Obsorge des Spitals übernommen. Von Berichten über Einzelfälle dürfe sich das Kultusamt in seiner Entscheidung aber ohnehin nicht leiten lassen: „Hier“, so Potz, „muss die Rechtsstaatlichkeit gewahrt sein.“

Für die Besucher des Kongresses am Wochenende wird das alles vorerst keine Rolle spielen. Tausende Menschen aus 30 Nationen holen sich bei Diskussionen, Interviews und Bibel-Vorträgen „praktische Hinweise für alle Lebenslagen“, so der Text der Einladung. Motto der Veranstaltung: „Geleitet von Gottes Geist.“

ANERKANNTE RELIGION

Anerkannt: In Österreich gibt es 13 anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften, die einige Rechte genießen, etwa Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und Recht auf Errichtung konfessioneller Privatschulen.

Eingetragene Bekenntnisgemeinschaften gibt es 11. Sie können nach 10 Jahren den Antrag auf staatliche Anerkennung stellen. Dafür müssen sie mindestens 2 Promille der Bevölkerung (16.000 Mitglieder) stellen – diese Voraussetzung erfüllen derzeit nur die Zeugen Jehovas.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2008)

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