Tschechien: Langsamer Abschied vom Gratis-Gesundheitswesen

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Tschechen gehen doppelt so oft zum Arzt wie Österreicher. Seit dem Jahreswechsel müssen sie dafür zahlen.

Prag. Alzbeta Krizovenská hieß das tschechische Neujahrsbaby. 15 Sekunden nach Mitternacht wurde die glückliche Mama Antónia in Kladno von ihrem dritten Kind entbunden. Möglicherweise wäre die Mutter noch glücklicher gewesen, wäre ihr Kind 15 Sekunden vor Mitternacht geboren worden. Dann hätte Vater Staat nämlich noch 185 Euro mehr an „Begrüßungsgeld“ für den neuen Erdenbürger ausgezahlt. So wurde die kleine Alzbeta das erste „Opfer“ der Gesundheitsreform, die in Tschechien mit Jahresbeginn in Kraft trat.

Das wichtigste Utensil dieser Reform sind Automaten in den Spitälern. Dort bekommt man Wertmarken für 30 und 90 Kronen. Mit dem Geld verschafft man sich Zutritt zu seinem Arzt. Die Zeiten des für die Patienten kostenlosen Gesundheitswesens in Tschechien nähern sich ihrem Ende. Die Preise, die Tschechen für eine Behandlung zuzahlen müssen, sind nicht sonderlich hoch. Aber es geht auch mehr um eine psychologische Sache. Die Tschechen sollen lernen, dass Gesundheit ein hohes Gut ist und nicht länger zum Nulltarif zu haben ist.

Bis jetzt war es oft so, dass die Tschechen bei jedem Zipperlein ihren Arzt aufsuchten. Während Österreicher im Durchschnitt sieben Mal im Jahr in eine Praxis gehen, taten das die Tschechen fast doppelt so häufig, in der Regel einmal im Monat. Damit lagen sie EU-weit an der Spitze. Die hohe Frequenz bei den Arztbesuchen brachte die Finanzierung des Gesundheitswesens ins Ungleichgewicht. Kein Wunder also, dass der zuständige Minister Tomas Julinek den Leuten „weniger Besuche beim Arzt und mehr Gesundheit“ wünschte.

Ein normaler Gang zum Arzt kostet jetzt etwas mehr als einen Euro. Pro Tag im Krankenhaus sind mehr als zwei Euro zu entrichten. Ein Euro ist auch für ein rezeptpflichtiges Medikament in der Apotheke zu berappen. Für eine Entbindung etwa rechnet man vier Tage Spitalsaufenthalt für Mutter und Kind. Die kosten knapp 20 Euro. Den Löwenanteil der Kosten trägt freilich weiter die Krankenversicherung. Die veranschlagt für eine einfache Untersuchung beim Hausarzt bis zu 600 Kronen (23 Euro). Da nimmt sich der eine Euro, der jetzt zugezahlt werden muss, bescheiden aus.

Ausnahmen für Schwangere

Die neue Verordnung legt im übrigen auch Obergrenzen und Ausnahmen fest, etwa für Komapatienten. Kostenlos bleiben auch die obligatorischen Untersuchungen während einer Schwangerschaft. Auch letzteres hat gute Gründe: Die tschechischen Frauen bringen europaweit die wenigsten Kinder zur Welt. Zusätzliche Kosten könnten da den Kinderwunsch womöglich zusätzlich verringern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2008)

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