Russische Einkaufsinvasion in Polen

Kaliningrad
Kaliningrad(c) Wikipedia/ Veiko Kaasik
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Die polnischen Grenzgebiete zur russischen Exklave Kaliningrad (Königsberg) werden von kaufwütigen Königsbergern überrannt. Trotz guter Geschäfte nehmen antirussische Parolen zu.

Sopot/Warschau. „Russen bedienen wir nicht!“, steht an der Fassade des Strandrestaurants „Piaskownica“ (Deutsch: Sandkasten) im polnischen Badekurort Sopot an der sandigen Küste der Danziger Bucht. Besitzer Jan Hermanowicz hat neben das Schild ein Anti-Putin-Plakat gehängt, auf dem Giebel des idyllisch gelegenen Lokals weht neben der polnischen auch eine ukrainische Flagge.

„Ich bin antirussisch eingestellt, dazu stehe ich“, sagt der einstige politische Gefangene des polnischen realsozialistischen Regimes von Moskaus Gnaden. Erfreut berichtet der politisch aktive Gastronom auch von ähnlichen Initiativen in der Nachbarstadt Gdynia (Gdingen). Seine Stadt Sopot (rund 40.000 Bewohner) richtet sich derweil allerdings immer mehr auf Touristen aus der nahen russischen Exklave Kaliningrad (Königsberg) ein. Hotels und Läden werben auf Russisch um Kundschaft, die russische Fahne ziert Tourismusprospekte.

Der Erfolg ist unüberhörbar. Im Lidl an der Unabhängigkeitsstraße kaufen zwei junge Touristen aus Kaliningrad lautstark vier Hühnerbeine. „Einfach genial billig!“, rühmt der Wortgewaltigere der beiden. Auch in den ersten Tagen des neuen Jahres ist der Strom russischer Einkaufstouristen in den polnischen Verwaltungsbezirk Pommern, in dem die genannten Städte liegen, nicht abgerissen. Mehr als sechs Millionen Grenzübertritte aus dem russischen Oblast Kaliningrad wurden 2014 gezählt – eine ansehnliche Zahl für ein Gebiet mit insgesamt knapp einer Million Einwohner. Eine seit dem Sommer 2012 gültige EU-Sonderregelung für den Kleinen Grenzverkehr mit Russland macht das visumfreie Reisen bis in den Ballungsraum Danzig möglich.

In Polen ist fast alles billiger

In Polen sind die meisten Produkte außer Zigaretten, Alkohol und Benzin billiger als in der vom russischen Mutterland durch polnisches und litauisches Gebiet abgetrennten Enklave. Wegen der hohen Transportkosten ist in Kaliningrad nämlich fast alles teurer als anderswo in Russland. Die Kaliningrader leiden zwar auch unter dem Rubel-Verfall, der den Import aus der EU an sich verteuert, aber eine Einkaufstour nach Polen lohnt sich trotzdem immer noch. Dazu kommt ein blühender Lebensmittelschmuggel aus Polen und Litauen infolge des russischen Embargos gegen Lebensmittel aus EU-Mitgliedstaaten.

Visumpflicht für die „Barbaren“

Polnische Detailhändler haben sich längst auf die neue russische Kundschaft eingestellt, die laut Schätzungen im Jahre 2014 ein Zehntel des Umsatzes generiert hat. Die Danziger Einkaufszentren Galeria Baltycka und Matarnia werben schon in Kaliningrad, russischsprachige Stadtführer konzentrieren sich weniger auf die Gedenkstätten des antikommunistischen Widerstands der in Danzig gegründeten Gewerkschaft Solidarnosc als vielmehr auf die diversen Hypermärkte und Handelsketten wie Ikea, auf deren Parkplätzen sich besonders an Wochenenden russische Mittelklassewagen stauen.

Ex-Dissident Hermanowicz, der streitbare Wirt von Sopot, würde dieses „Problem“ mit der Wiedereinführung des Visumzwangs lösen wollen. Mehr als 20 Jahre schon seien Russen nun nach Polen und sogar viel weiter westwärts gereist, doch eine Demokratisierung habe dies in Russland selbst nicht gebracht, meint er.

„Barbaren und Menschenrechtsvergewaltiger gehören ausgesperrt“, sagt Hermanowicz, der dafür auch Umsatzeinbußen und Anfeindungen bewusst in Kauf nimmt. Sein Schild hat er nach Protesten allerdings um den Zusatz „Putin-Anhänger“ ergänzt.

HINTERGRUND

Kaliningrad (Königsberg), die durch Polen und Litauen von Russland abgetrennte Exklave an der Ostsee mit ihren rund eine Million Bewohnern, ist von Russland aus nur umständlich zu erreichen bzw. zu versorgen. Da auch die Preise dort relativ hoch sind, strömen zahllose Königsberger vor allem nach Polen zum Shopping, was dort einen wirtschaftlichen Boom befeuert, aber auch Ressentiments schürt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2015)

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