Fremdenlegion: Fünf Jahre in der Knochenmühle

(c) REUTERS (MAL LANGSDON)
  • Drucken

Frankreichs Fremdenlegion gilt als einer der härtesten Militärverbände. Wenige andere sind so von Mythen umrankt und selbst unter militärischen Laien bekannt. Stefan Müller, ein Deutscher vom Bodensee, war fünf Jahre dabei – und erzählt nun davon.

Sie marschierten, kämpften und starben im Ofen der Sahara, in den Dschungeln Westafrikas und Indochinas und auf den verkraterten Schlachtfeldern Flanderns. Seit 2013 halten sie in Mali Jihadisten in Schach: die Légion étrangère, die französische Fremdenlegion – jene mythosumrankte Elitetruppe, von der sogar militärische Laien glauben, viel darüber zu wissen, und die wie nur wenige andere Militäreinheiten Gegenstand von Filmen und Büchern wurde.

Brutal sei die Ausbildung, heißt es, oft dienten dort Verbrecher, im Umgang mit dem Feind, ja mit Zivilisten gehe sie ungern mit Samthandschuhen vor. Stefan Müller, ein Deutscher aus dem beschaulichen Pfullendorf nahe Meersburg am Bodensee, wagte es 2009: Als 24-Jähriger bewarb er sich beim nächsten Anwerbebüro der Légion in Straßburg und musterte 2014 als Caporal ab. Müller, dessen Tarnname in der Légion „Karl Mahler“ war, hatte schon bei einem der besten Verbände der Bundeswehr, den Fernspähern der damaligen Division „Spezielle Operationen“, gedient. Im Vergleich zur Légion sei das gemütlich gewesen, meint er, und als sein ziviler Job auf der Kippe stand, ging er nach Frankreich.

Nun brachte Müller über seine Zeit bei der Légion, die ihn im 2. Infanterieregiment etwa in den Senegal, die Emirate und Mali führte, ein Buch heraus: In „Mythos Fremdenlegion“ (Verlag Econ) wird in schlichtem, nüchternem, doch unterhaltsamem, süffisantem und kritischem Ton von Bizarritäten der Aufnahme, endlosen brutalen Übungen, psychischen und körperlichen Grenzerfahrungen, Drogen und letztlich dem Tod ebenso berichtet wie von Freundschaft, Stolz, Männlichkeitsexzessen, Action und dem Problem, als Legionär eine Liebesbeziehung aufrechtzuerhalten. Eine Glorifizierung von la Légion ist es genauso wenig geworden wie eine Abrechnung. Im Folgenden einige – sehr stark gekürzte – Leseproben:

Shave

Das Taxi fuhr langsam davon. Es war Montag, 6. April 2009, vor einer halben Stunde war ich in Straßburg angekommen. Da stand ich mit meiner gelben Reisetasche in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrschte. Ich ließ meinen Blick schweifen: Einige Männer lungerten auf dem Bürgersteig herum. Was waren das für Gestalten? Die sahen aus wie Penner. Bei einem ragte ein angebissenes Baguette aus der Jackentasche. Der Typ war unrasiert und schmutzig. Ein anderer hatte eine vergammelte Baseballkappe mit einem Loch auf dem Kopf. Ein Dritter trug kaputte Turnschuhe ohne Schnürsenkel und hatte keine Jacke bei sich. Auf seinem T-Shirt stand „Mockba“ – Moskau. War wohl Russe oder Russland-Fan.

Im Vergleich zu denen wirkte ich in meinem weißen Sweatshirt wie geschleckt. Lediglich ein Farbiger schien auf sein Äußeres zu achten, trug zumindest vorzeigbare Klamotten. Er war sportlich und muskulös. Die anderen sahen nicht aus, als würden sie Sport treiben. Alle waren zwischen 20 und 30. Ich fragte mich, ob ich hier richtig war – doch da war kein Zweifel: „Légion étrangère“ stand groß auf einer Mauer, die oben mit Stacheldraht gesichert war. Dahinter waren Gebäude zu sehen und ein Mast mit französischer Flagge. Die Fremdenlegion. Da wollte ich hin. Das war mein Plan, mein einziger Plan. In Deutschland hielt mich nichts mehr.

Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete sich die Tür zur Kaserne. Jemand trat auf den Bürgersteig. Ich sah zum ersten Mal einen echten Fremdenlegionär hautnah. Der Typ war groß, breitschultrig, und aus seinem vernarbten Gesicht ragte eine Hakennase. Er erinnerte mich an den Schauspieler Jean Reno. Er trug grüngefleckte Tarnuniform und grünes Barett. Alle Augen richteten sich auf ihn. Er sah gleichgültig auf einen Punkt auf der anderen Straßenseite und schwieg. Dann fragte er mit lauter Stimme: „Shave?“ Er machte mit der Hand in Höhe seiner Wange eine kreisende Bewegung. „Towel?“, lautete die nächste Frage. Der Jean-Reno-Verschnitt sah ausdruckslos von einem zum anderen: „Towel?“ Ich nickte, als er mich ansah. Die Hälfte der Gruppe hatte die Sachen nicht dabei. Die wurden – „Go!“ – kurzerhand weggeschickt. Mich und einen anderen winkte der Legionär zu sich: „Come in!“

Présélection

Ich stand mit einem Afrikaner vor dem Gebäude, in dem wir untergebracht waren. Er sprach gut Englisch und hatte superweiße Zähne. „Und“, fragte ich, „wie läuft es bei dir?“ Er zuckte die Schultern. „Bis jetzt ganz gut. Muss es aber auch. Ich schulde meiner Familie eine Menge Geld.“ – „Warum?“, wollte ich wissen. „Sie haben zusammengelegt, damit ich nach Europa gehen konnte.“ – „War es teuer?“ – „Na ja“, er sah mich misstrauisch an, zögerte kurz. „Der falsche Pass hat allein 3000 Euro gekostet. Der Schlepper noch mehr.“

Ich war baff. Für mich war es schwer zu verstehen, warum man so viel Geld zusammenkratzt, um sich nach Europa schleusen zu lassen. Ich hatte nie mit einem Flüchtling gesprochen. „Warum hast du das gemacht?“, wollte ich wissen. – „In meinem Land gibt es keine Jobs. Wer jung genug ist, geht nach Europa, um zu arbeiten und der Familie Geld zu schicken. Davon leben Dutzende zu Hause.“ Seine Geschichte war kein Einzelfall. Die Freiwilligen aus Afrika oder Asien hatten andere Motive als ich, Legionär zu werden. Mir ging es um Abenteuer und Herausforderung, ihnen um eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Die Legion schätzt Bewerber aus Dritte-Welt-Ländern. Für sie ist die Legion keine zweite Chance wie für viele Europäer, sondern die einzige, die letzte Chance.

Drill

„Mach schneller!“, brüllte der Ungar, als ich auf der Kuppe des Hügels auf ihn zurannte. Breitbeinig stand er dort. „Los, weiter, lauf wieder runter! Wird's bald?!“ Als ich an ihm vorbeikam, gab er mir sozusagen als Krönung mit der Hand einen wuchtigen Schlag in den Nacken. Mein Kopf dröhnte. Arschloch, dachte ich, machte kehrt und rannte den Hügel wieder hinab.

Heute hatten uns die Ausbilder mal wieder um fünf Uhr morgens geweckt – wachgebrüllt – und angefangen, uns den steilen, 200 Meter langen Pfad den Hügel neben unserem Lager rauf- und runterzuscheuchen. Das ging seit einer gefühlten Ewigkeit so. Ich weiß nicht, wie oft ich den verdammten Hügel schon raufgerannt war. Über Stunden ging das so: Hügel rauf, Hügel runter, zwischendurch „zur Erholung und Abwechslung“ Liegestütze und Klimmzüge – und manchmal wurde dazu munter gesungen. Alles schön in Shorts und Hemdchen, egal wie das Wetter war. Ein Wunder, dass bisher keiner umgekippt war. Zumal die Ausbilder uns gnadenlos vorwärtstrieben. Heute weiß ich, dass ich damit bis kurz vor den körperlichen und geistigen Zusammenbruch gebracht werden sollte. Dazu gehörte der Schlafentzug in der Zeit auf der Farm. Jede Nacht mussten wir auch noch Wache schieben, und ich habe in den vier Wochen nie mehr als drei bis vier Stunden am Stück geschlafen. Manche haben es geschafft, im Sitzen oder Stehen einzuschlafen. Es fand ein brutales Auswahlverfahren statt. Man wollte sehen, welche Reserven in mir steckten und ob mein Wille ausreichte, sie zu mobilisieren.
Plötzlich begann ich zu taumeln. Ich wusste nicht, was los war, ich konnte die Bewegungen meiner Beine kaum noch kontrollieren. Meine Muskeln verkrampften sich und ich dachte, ich würde gleich umkippen.

Ausgerechnet der Ungar war es, der mich erlöste: „Marchons, wir marschieren!“ Im Zustand totaler Erschöpfung erschien mir das Marschieren besser, als den Lauf auf den Hügel fortzusetzen. Als wir Stunden später total ausgepowert ins Lager kamen, fiel ich vollkommen erschöpft auf mein Feldbett. Den anderen ging es genauso. In dieser Nacht, nachdem das Licht gelöscht worden war, hörte ich jemanden erst schluchzen, dann weinen. Einen erwachsenen Mann weinen zu hören, ging mir sehr nahe. Es hatte etwas Verzweifeltes und absolut Hilfloses. Ich hatte Mitleid mit dem Mann. Aber da musste er allein durch.

Feindkontakt

Die Islamisten kannten sich in der Gegend gut aus und konnten als Zivilisten getarnt in den Dörfern untertauchen. Daher war ich nicht optimistisch gestimmt, als der Sergent sagte: „Ich habe eine Info, dass 20 Minuten von hier ein Pick-up mit Bewaffneten fährt.“ Das hatten wir schon mehrmals gehört und niemanden aufgespürt. An diesem Tag bestand unsere Patrouille aus fünf Fahrzeugen. „Da ist wirklich ein Pick-up“, sagte der Sergent, als wir uns den Koordinaten näherten. „Weißes Fahrzeug auf 12 Uhr. 500 Meter entfernt.“ Durch meine Zieloptik konnte ich es erkennen. Das Fahrzeug stand mitten in der Wüste. Wir fuhren darauf zu.

Durch mein EOTech-Visier sah ich, dass sich beim Pick-up etwas bewegte. „Die schießen auf uns!“, schrie der Sergent, als wir auf 200 Meter herangekommen waren. Ich sah zwei Männer mit Kalaschnikows beim Fahrzeug. Ich konnte nicht viel hören, doch sah das Mündungsfeuer der Waffen aufblitzen. Sofort war mein Puls auf hundertachtzig. Es fühlte sich an, als würde mich jemand auf einen Abgrund zustoßen. An dieser Stelle machte sich der jahrelange Drill bezahlt: Ich überlegte nicht lange. Mein Körper machte, was ich wieder und wieder bis ins Detail trainiert hatte. Das lief fast automatisch.

Jeder, der eine Waffe in der Hand hatte, ballerte los. Mein Sichtfeld hatte sich verengt. Ich sah nur die Typen und ihren Pick-up. Auf dessen Ladefläche hantierte ein Dritter mit einem schweren russischen MG. Sollte es ihm gelingen, es abzufeuern, sah es schlecht für uns aus. Die großkalibrigen Kugeln würden die leichte Panzerung unserer VBL (Panzerwagen, Anm.) durchschlagen. Dann explodierte der Typ. Ich meine, er hatte plötzlich überall rote Flecken, die sich schnell ausbreiteten, und er zuckte wild. Er sackte auf der Ladefläche zusammen. Den beiden anderen Islamisten erging es nicht besser.

Einer röchelte noch. Er kam mir ziemlich jung vor, aber da konnte ich mich täuschen. Es war kein schöner Anblick: Jede Menge blutige Einschusslöcher, etwa so groß wie Erbsen. Ich war wie erstarrt, wusste nicht, was ich machen sollte. Er schaute in meine Richtung, zumindest empfand ich das so. Irgendwie war mir klar, dass er gleich sterben würde. Da war irgendwas in seinem Blick. Dann starb er tatsächlich.

Ein Gedanke ging mir durch den Kopf: Das Letzte, was dieser Mensch in seinem Leben sah, war ich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Weltjournal

Eine sagenumwobene Söldnerarmee

Die Légion étrangère entstand 1831 als Profitruppe für die Eroberung neuer Kolonien.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.