Ungarn: Schlemmen wie Gott bei den Roma

 Im Roma-Restaurant Romani Platni in Budapest greifen auch ausländische Touristen gern zu.
Im Roma-Restaurant Romani Platni in Budapest greifen auch ausländische Touristen gern zu.(c) Mudra László
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In Budapest führen Roma-Frauen im Rahmen einer originellen Initiative ein Lokal mit spezifischen Gerichten ihrer Volksgruppe. Die Idee wurde ein Erfolg.

„Heute gibt's Sauerkraut-Speck-Suppe, danach geräuchertes Huhn in Paprika-Tomaten-Soße“, verkündet Malvin Német in getragenem Ton, nachdem sie sich allen Gästen als „Tante Malvin“ vorgestellt hat. Die kleine, permanent gut gelaunte 70-Jährige redet laut und mit tiefer Stimme. Dann wieder singt und tanzt sie Volkslieder vor den Kochtöpfen, sie trägt Ohrringe, und ihre kleinen schwarzen Augen glitzern aus dem runden Gesicht. „Als Nachtisch backen wir gleich einen Zsurmó, eine Art Nudelauflauf mit Pflaumenmousse, oh wie gut!“, verspricht sie, ständig in Bewegung, einen Holzlöffel in der Hand.

Malvin gehört zur Volksgruppe der Roma – und ist das Herz eines besonderen Budapester Restaurants, das immer mehr Ungarn und sogar Ausländer anzieht. Mindestens zweimal im Monat öffnen sich die Türen des Lokals in der Tüzoltó utca im neunten Bezirk, eigentlich eine kleine Wohnung, und es wird aufgetischt. „Wir kochen nach traditionellen Roma-Rezepten, die den meisten Ungarn nicht so bekannt sind, sagt die Pensionistin. „Jede Speise hat für uns ihre Geschichte und Wurzeln in unserer Familientradition.“

Das Lokal Romani Platni (in etwa: Roma-Herd) basiert auf einer einfachen Idee: Es ist das erste Roma-Restaurant in Budapest, wenn nicht im ganzen Land, und hat vor allem das Ziel, die Geschmackswelt der Roma bekannt zu machen. „Die Roma-Küche ist zwar nicht so raffiniert wie etwa die französische, aber sie setzt auf starke Kontraste und heftige Noten. Das macht sie interessant“, sagt Éva Kisné, eine jüngere Köchin aus dem Team.

„Nichts für Vegetarier“

Rund 20 Gäste sind an diesem Abend gekommen. „Es ist bestimmt kein Magertopfen und nichts für Vegetarier“, sagt Kata, eine Jusstudentin, als sie mit dem Hauptgang fertig ist. „Aber alles schmeckt prima, und das Konzept ist super. Es ist mehr als ein Restaurant.“ Tatsächlich geht es in der Erdgeschoßwohnung um soziales Unternehmertum. In Ungarn sieht der Alltag der Roma nämlich düster aus. Armut und Ausgrenzung prägen seit eh und je ihre Siedlungen. Auch die, die in Budapest wohnen, sind oft arbeitslos und haben kaum Aufstiegschancen. Unter Viktor Orbáns rechtspopulistischer Regierung ist kaum mit Unterstützung für Roma-NGOs zu rechnen.

Doch Romani Platni gibt Roma-Frauen die Möglichkeit, ihre Kochkunst zu zeigen und ihre Kultur bekannt zu machen. Das Projekt wurde von Ferencvárosi Tanoda initiiert, einem Verein, der sich vorher primär auf die Verbesserung der schulischen Leistungen von Roma-Kindern konzentriert hatte. „Irgendwann machten wir uns Gedanken über die Eltern und Großeltern der Kinder“, erinnert sich Projektmanagerin Krisztina Nagy. „Weil viele ältere Roma-Frauen kaum Arbeitserfahrung und keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hatten, fragten wir uns: ,Was könnten die machen?‘ Natürlich können viele kochen. Also schlugen wir vor, ein Lokal zu eröffnen.“

Schluss mit den schlechten Nachrichten

Malvin und ihre Nachbarinnen, die früher oft von Sozialhilfe lebten, fanden die Idee entzückend: „Jeden Tag hört man nur von Arbeitslosigkeit oder Analphabetismus. Schluss damit, jetzt machen wir halt auch was Schönes“, sagt Malvin und lächelt. Das vom ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros gegründete Budapester Institut für eine Offene Gesellschaft fand die Idee ebenfalls gut und stellte rund 10.000 Euro bereit. „Davon konnten wir die Wohnung im Erdgeschoß einrichten und eine Werbekampagne organisieren, vor allem in sozialen Medien“, erzählt Nagy.

Sogar die Polizei ließ aufkochen

Die Rechnung ging auf: Seither waren fast sämtliche Plätze manchmal mehrere Wochen im Voraus reserviert. Einmal besorgten die Damen sogar das Catering für ein Fest der ungarischen Polizeispitze mit rund 400 Gästen. „Den Köchinnen konnten wir am Anfang nur eine Aufwandsentschädigung zahlen“, erklärt Initiatorin Nagy. „Doch das war quasi Teil des Deals. Unser Ziel ist nicht, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern den Menschen eine Chance zu geben, später ihr eigenes Kleinunternehmen zu gründen.“

Mittlerweile kochen die Damen auch bei Events und zu Spezialterminen, die Wohnung wird immer wieder neu eingerichtet und die Küchenausstattung verbessert. Nach dem Essen treten oft Roma-Bands auf. Und als das Lokal von internationalen Reiseportalen empfohlen wurde, tauchten die Touristen auf.

Vor geraumer Zeit fingen die Frauen nebenher mit einer kleinen Bäckerei an, die hauptsächlich Bodag, ein riesiges Weißbrot aus Hefeteig, anbietet. Bisher läuft es gut. „Morgens stehen die Ungarn Schlange vor unserer Tür“, lacht Éva Kisné.

Homepage: http://romaniplatni.blogspot.co.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2016)

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