Bundespräsident Heinz Fischer appellierte an die Besetzer, aus der Votivkirche auszuziehen. Sie wollen nun tatsächlich am Sonntag Gespräche über einen Umzug beginnen.
Wien/Kb/Stu. „Wir müssen jetzt handeln. Wenn wir tot sind, ist das keine Lösung.“ Mir Jahangir spricht aus, worauf Viele gewartet haben – dass die rund 50 Personen, die seit dem 18. Dezember die Wiener Votivkirche besetzen, über die Übersiedlung in ein anderes Quartier verhandeln wollen. „Vielleicht starten wir nächste Woche einen Dialog und übersiedeln dann woanders hin. Ich hoffe es“, sagte Jahangir, der selbst seit Wochen in der Votivkirche ausharrt, dem Ö1-„Mittagsjournal“.
Liogat Ali Turi, ein weiterer Betroffener zur „Presse“: „Wir müssen bleiben, bis es eine Lösung gibt. Wenn es für das neue Quartier nicht denselben Schutz gibt wie hier in der Kirche, werden wir bleiben.“ Und mit Schutz meine er vor allem auch den Schutz vor Abschiebung. Die Caritas betonte, laufend im Gespräch mit den Besetzern zu sein, konkrete Pläne zum Auszug gebe es aber nicht.
Fischer: „Übersiedlung wichtig“
Mit ein Grund für das Umdenken war der am Mittwoch an die Besetzer gerichtete Appell von Bundespräsident Heinz Fischer, in das von der Kirche angebotene Ausweichquartier zu übersiedeln. Dies wäre „ein wichtiger und positiver Schritt in die richtige Richtung“. Mit einer Übersiedlung wäre eine Grundlage geschaffen, damit in Gesprächen mit jedem einzelnen Betroffenen eine individuelle Perspektivenabklärung erfolgen könne.
Fischers Brief sei sicher hilfreich gewesen, meint Caritas-Wien-Sprecher Klaus Schwertner. Ob die angebotene Hilfe aber nun auch tatsächlich angenommen werde, das sei noch nicht abzusehen. Der Ausgang dieser Gespräche sei offen.
Zunächst wollen die Besetzer jedenfalls die „Solidaritätsdemo“ am Samstag in Wien abwarten. Gleich danach, am Sonntag, werde man mit der Kirche und der Caritas in konkrete Verhandlungen treten und die Bedingungen diskutieren. Die Demonstration startet um 14 Uhr beim Westbahnhof und wird nach einer Zwischenkundgebung vor dem Innenministerium zum Parlament und schließlich zur Votivkirche ziehen, wo es eine Abschlusskundgebung gibt. Sie wurde am Mittwoch als Reaktion auf den Bericht des Innenministeriums angesetzt, wonach die Räumung des besetzten Sigmund-Freud-Parks am 28. Dezember „verhältnismäßig“ gewesen und korrekt vollzogen worden sei.
Das Innenministerium hielt am Donnerstag fest, dass es keinen weiteren runden Tisch mit den Besetzern geben wird, ebenso wenig wie strukturelle Änderungen im österreichischen Asylwesen. Weiterhin lege man den Flüchtlingen nahe, die kalte Kirche zu verlassen und in die von der Caritas angebotenen Quartiere zu übersiedeln.
Zudem wies das Ressort darauf hin, dass sich der Anteil der Personen mit negativem Asylbescheid in der Votivkirche seit Beginn der Besetzung erhöht habe. Wesentlich für Asylverfahren sei die Mitwirkung des Antragstellers. Aufgrund von versäumten Fristen mangle es jedoch zum Teil an dieser Mitwirkung. Die Folge sei eine höhere Zahl von Personen mit rechtskräftigen negativen Bescheiden.
Ein Drittel mit negativem Bescheid
Derzeit befinden sich zwei Drittel der Besetzer in laufenden Asylverfahren, ein Drittel hat rechtskräftige negative Bescheide bekommen. Ein Großteil von ihnen setzt den Hungerstreik, der zwischenzeitlich unterbrochen wurde, wieder fort. Ihre Forderungen sind: Grundversorgung für alle Asylwerber, freie Wahl des Aufenthaltsortes, keine Transfers in die Bundesländer gegen den Willen der Betroffenen, Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildung und Sozialversicherung, Einrichtung einer unabhängigen Instanz zur Prüfung negativer Asylbescheide, Asyl für Wirtschaftsflüchtlinge und keine Dublin-II-Abschiebungen mehr – diese Verordnung legt fest, dass ein einziger EU-Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Ziel ist es, zu vermeiden, dass Asylsuchende von einem Land ins andere zurückgeschickt werden und mehrere Asylanträge stellen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2013)