Wiener Kopfschuss-Prozess: 20 Jahre Haft wegen Mordes

Archivbild: Der Tatort in Wien-Brigittenau
Archivbild: Der Tatort in Wien-BrigittenauAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Der zweite Prozess gegen einen Mann, der einen Bekannten in Wien-Brigittenau auf offener Straße erschossen haben soll, endet mit einem Schuldspruch. Ein Geschworener wurde wegen möglicher Befangenheit ausgeschlossen.

Im Mordprozess gegen einen 28-jährigen Mann, der am 16. April 2017 einen 26 Jahre alten Bekannten in Wien-Brigittenau auf offener Straße erschossen haben soll, gab es einen Schuldspruch im Sinne der Anklage. Der gebürtige Kosovare muss wegen Mordes 20 Jahre ins Gefängnis. Die Verteidiger Werner Tomanek und Philipp Wolm legten gegen diese Entscheidung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein. Das Urteil ist damit nicht rechtskräftig.

Der Wahrspruch der Geschworenen wurde - der Gesetzeslage entsprechend - nicht näher begründet. Bei der Strafbemessung wurde die "kaltblütige Begehensweise aus nichtigem Anlass" erschwerend gewertet, wie die vorsitzende Richterin Andrea Wolfrum darlegte. Mildernd fiel die bisherige Unbescholtenheit des 28-Jährigen ins Gewicht.

Der Mann blieb während der Urteilsverkündung ruhig und gefasst und zeigte auch im Anschluss keine Emotionen. Dies war durchaus nicht selbstverständlich - in der vorangegangen ersten Verhandlung war er Ende November noch einstimmig vom Mord freigesprochen worden. Die drei Berufsrichter hatten allerdings den Wahrspruch der damaligen Laienrichter nicht akzeptiert und das Urteil wegen Irrtums der Geschworenen ausgesetzt. Das machte eine zweite Verhandlung erforderlich. In dieser machte der Angeklagte durchgängig vom Schweigerecht Gebrauch und äußerte sich in der gesamten Verhandlung weder zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen noch zu irgendeinem anderen Punkt.

Geschworener ausgetauscht

Beim Gerichtstermin am Dienstag ist ein Geschworener von der Verhandlung ausgeschlossen worden. Das Gericht gab einem entsprechenden Antrag der Verteidigung Folge. "Es gibt Anhaltspunkte, die völlige Unbefangenheit des Geschworenen in Zweifel zu ziehen", begründete die vorsitzende Richterin Andrea Wolfrum die Entscheidung. Anstelle des ausgeschlossenen Laienrichters rückte ein Ersatzgeschworener nach.

Der entfernte Geschworene arbeitet beruflich als Journalist und hatte fünf Stunden nach der Bluttat über das prozessgegenständliche Geschehen berichtet, wobei er Informationen verbreitete, die über den Inhalt der Presseaussendung der Landespolizeidirektion hinausgingen. Die Verteidiger Werner Tomanek und Philipp Wolm nahmen das zum Anlass, dem Mann "ein generelles Naheverhältnis zur Polizei" zu unterstellen. Aufgrund seiner guten Kontakte habe der Geschworene schon am Tag der Bluttat Insider-Informationen erhalten, sich eine einseitige Meinung über den Sachverhalt gebildet und sei damit nicht unvoreingenommen und unparteiisch in die Hauptverhandlung gegangen, als er im Mordprozess gegen den 28-Jährigen zum Geschworenen bestellt wurde.

Obwohl der Judikatur des Obersten Gerichtshofs (OGH) zufolge bereits der bloße Anschein einer Voreingenommenheit genügt, um einen Richter wegen Befangenheit von einem Verfahren auszuschließen, hatte sich Staatsanwalt Christoph Wancata für den Geschworenen stark gemacht. Er bescheinigte diesem, fallbezogen eine "sachliche Kriminalberichterstattung" betrieben zu haben. Der Antrag der Verteidigung diene nur dazu, "einen kritisch fragenden Geschworenen loszuwerden und allfällige weitere Geschworene einzuschüchtern", meinte Wancata, der mit dieser Argumentation beim Gericht allerdings kein Gehör fand.

Zeuge sah Handgemenge mit Waffe

Ein Zeuge, den Angehörige des getöteten Igor Z. ausgeforscht hatten, schilderte danach dem Schwurgericht seine Eindrücke. Der Mitarbeiter einer Bäckerei war dabei, Kisten in ein Lager zu tragen, als ihm auf der gegenüberliegenden Straßenseite vier Männer auffielen. Plötzlich lief einer davon, die drei anderen folgten.

Zunächst glaubte der Zeuge, die Unbekannten wären bestrebt, einen Bus der Wiener Linien an einer nahe gelegenen Haltestelle zu erreichen. Bald wurde ihm aber klar, dass er sich irrte. Der größte der Verfolger holte den ersten Mann nach 35 bis 40 Meter ein, hielt ihn fest und versetzte ihm mit einer Waffe in der Hand "einen Handschlag auf den Kopf", beschrieb der Zeuge. Dabei habe er "ganz deutlich eine Waffe gesehen", der Mann habe "mit der Hand und der Waffe gleichzeitig" zugeschlagen, bekräftigte der Zeuge.

"Ich habe so viel Angst gekriegt, dass ich mich gleich versteckt habe, dass ich ins Lager gegangen bin", sagte der Bäckerei-Mitarbeiter. Nach "einer gewissen Zeit" hätte er einen Schuss gehört. Als er sich wieder aus dem Lager traute, hätte er den Toten auf der Straße liegen gesehen. "Der Große" habe sich noch in der Nähe befunden, die anderen beiden Männer hätte er demgegenüber "nicht registriert". Die Frage, ob er in dem auffallend großen Angeklagten den Bewaffneten wieder erkenne, konnte der Zeuge nicht beantworten.

Angeklagter schweigt

Der Angeklagte hat in dem gesamten Verfahren vom Schweigerecht Gebrauch gemacht und sich nicht zu den gegen ihn gerichteten Vorwürfen geäußert. Mehrere Polizeibeamte bestätigten allerdings im Zeugenstand, der 28-Jährige wäre wenige Minuten nach der tödlichen Schussabgabe in die Polizeiinspektion Pappenheimgasse gekommen und hätte dort eine Art Geständnis abgelegt. "Er hat gesagt, dass er das war. Dass er das aber nicht wollte. Es war ein Unfall. Es sollte zu einer Aussprache kommen wegen einer Frau", gab ein Polizist im Zeugenstand an. Dieses Gespräch hätte sich beim Warten auf den Amtsarzt ergeben. Der Angeklagte habe erzählt, der später Getötete habe ihn angegriffen, er habe sich verteidigen und mit der Pistole zuschlagen wollen.

Auf insgesamt drei Polizisten wirkte der 28-Jährige vor seiner Festnahme "äußerst nervös" bzw. "aufgeregt". Allesamt hatten nicht den Eindruck, dass dieser einen unbekannt gebliebenen Täter deckte und die Schuld auf sich nahm, um von jenem abzulenken.

Der Antrag der Verteidigung auf Einholung eines weiteren Gutachtens wurde abgewiesen. Die von den Anwälten erwünschte Blutspurenmuster-Analyse falle in den Zuständigkeitsbereich der Gerichtsmedizin, eine Expertise aus diesem Fachgebiet liege bereits vor. Es gebe keine Hinweise auf Mängel in diesem Gutachten, lautete die Begründung.

Der Fall

Einem 28 Jahre alten Mann wird vorgeworfen, am 16. April 2017 den 26-jährigen Igor Z. auf offener Straße in Wien-Brigittenau erschossen zu haben. Beim aktuellen Prozess, der Ende Februar begonnen hat, handelt es sich bereits um die zweite Hauptverhandlung gegen den Mann. Ende November sprachen Geschworene den vermeintlichen Schützen frei, die Berufsrichter setzten jedoch den Wahrspruch wegen Irrtums der Laienrichter aus.

Gekracht hatte es auf der Jägerstraße in Wien-Brigittenau am Ostersonntag 2017. Wenige Minuten später stellte sich der Angeklagte der Polizei und erklärte einer Kriminalbeamtin, er hätte sich mit Igor Z. zu einer Aussprache getroffen. Dabei sei er von seinem Kontrahenten - die beiden sollen ein intimes Verhältnis mit derselben Frau gehabt haben - angegriffen worden. Um diesen abzuwehren, habe er ihm seine geladene Pistole auf den Kopf schlagen wollen. Dabei habe sich unabsichtlich ein Schuss gelöst. An dieser Darstellung gibt es Zweifel. Eine Analyse der Schmauchspuren sowie die Gutachten eines Gerichtsmediziners und eines Ballistikers decken sich nicht mit der Darstellung des Angeklagten. Das Urteil soll am 4. April fallen.

(APA)

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