"City Farm": Die Wiener Lust auf Grün

City Farm Wiener Lust
City Farm Wiener Lust(c) Bilderbox
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Die Begeisterung der Wiener für das Gärtnern in der Stadt ist ungebrochen. Nachbarschafts- und Gemeinschaftsgärten boomen, und in Schönbrunn eröffnet eine "City Farm".

Das Glück der Erde liegt in diesem Fall im Dreck. Begeistert werfen sich die Schüler einer zweiten Klasse Volksschule Erdklumpen auf die grünen T-Shirts. Andere rennen lachend herum, reißen verstohlen Sauerampfer aus dem Beet und stecken sich die Blätter in den Mund.

In Wien hat vergangene Woche die „City Farm Schönbrunn“ ihre Pforten geöffnet. Auf dem Areal der Kammermeierei in einem versteckten Winkel des Schönbrunner Gartens wurden auf circa 4000Quadratmetern Gemüsebeete angelegt. Hier können Großstadtkinder, aber auch Erwachsene alles über Gemüseaufzucht und Blumenpflege lernen und ihre Lust am Garten entdecken. Also, wie baue ich ein Beet, wie setze ich Tomaten an, und warum gibt es im Frühling keine Äpfel? „Die Kinder sollen hier wieder den Kreislauf der Natur verstehen lernen“, sagt Gartenpädagogin Lisa Reck Burneo, die die City Farm Schönbrunn gemeinsam mit dem Gemüseexperten Wolfgang Palme (er ist auch Abteilungsleiter am Lehr- und Forschungszentrum für Gemüsebau in Schönbrunn) in diesem Jahr gegründet hat.

Die Idee für den Garten kam Reck Burneo im Rahmen ihres Fullbright- Studiums, das sie für ein Jahr nach New York verschlagen hat. „Dort ist es normal, wenn Banker auf dem Dach Tomaten pflanzen“, erzählt die junge Frau. Diese Einstellung möchte sie auch nach Wien bringen.

Fünf Volksschulklassen besuchen die City Farm Schönbrunn mittlerweile regelmäßig im Rahmen des Unterrichts. Jede Klasse hat ein eigenes Beet, das die Kinder selbst bearbeiten. Salat, Tomaten und Radieschen werden hier gepflanzt, das Unkraut gejätet und seltene Gemüsearten aus den benachbarten Beeten gekostet. Tiefes Wühlen inklusive – was Reck besonders wichtig ist. „Man glaubt gar nicht, wie viele Kinder kaum Kontakt mit der Natur haben“, sagt sie. Als Beispiel nennt sie Gespräche, die Volksschüler untereinander geführt hätten. „Warst du schon mal im Wald?“, soll ein Junge den anderen gefragt haben. „Nein, noch nie“, habe der geantwortet. Beide waren etwa acht Jahre alt.

Der Trend wird weiter steigen.
Abgesehen von den Schulklassen-Workshops bietet die City Farm auch Workshops zu allen möglichen Themen rund ums Gärtnern für Erwachsene und Kinder an. Viele der Kurse wie „Essbare-Blüten-Workshops“ sind noch nicht ausgebucht, doch das könnte sich schnell ändern. Bedient die City Farm mit ihrem Angebot doch einen Trend, der sich ohnehin jedes Jahr stärker in der Stadt ausbreitet.

Denn die Wiener haben ihre Lust am Gärtnern entdeckt. Was an der steigenden Zahl von Gemeinschaftsgärten, Guerilla-Gardening-Projekten und den zahlreichen Kistchen auf Nachbars Balkon leicht zu bemerken ist. Auch die Wirtschaft hat darauf reagiert und begonnen, Produkte für die „neue Zielgruppe“ in der Stadt zu entwickeln. „Wir müssen uns jetzt halt mit Fragen befassen wie: Wie viele Blumen passen auf eine Fensterbank? Und welche Blumen halten sich auf dem Balkon?“, sagt Alois Wichtl, Geschäftsführer des Gartenriesen Bellaflora. Er geht davon aus, dass der Trend zum „Urban Gardening“ auch in den kommenden Jahren zunehmen wird.

Die Lust am Garteln wird mittlerweile auch von der rot-grünen Stadtregierung forciert. Sie hat etwa die Förderung von Gemeinschaftsgärten in ihrem Koalitionspapier festgelegt. In Wieden wird derzeit etwa seitens der Bezirksvorstehung eine Gruppe für einen Nachbarschaftsgarten gesucht, auch private Initiativen gibt es in der Stadt.

Seit heuer haben so fünf neue Gemeinschaftsgärten eröffnet, unter anderem der „Tigergarten“ im achten und der „Gemeinschaftsgarten Arenbergpark“ im dritten Bezirk. Auch auf den großen Grünflächen zwischen den Gemeindebauten befinden sich derzeit 25 nachbarschaftliche Gartenprojekte, heißt es aus dem Büro des Wohnbaustadtrates.

„Es ist einfach ein gutes Gefühl zu sehen, dass etwas wächst. Ich freue mich schon, wenn ich etwas ernten kann“, sagt etwa der 25-jährige Sebastian, Biologiestudent in Wien. Er ist einer der glücklichen Besitzer eines circa fünf Quadratmeter großen Beetes im Arenbergpark. Glücklich, weil die 16Beete vor der Eröffnung verlost wurden. „Innerhalb kurzer Zeit standen mehr als 100Leute auf der Liste“, erzählt David Stanzel von Gartenpolylog, einem Verein, der sich der Förderung von Gemeinschaftsgärten verschrieben hat. Eine Entwicklung, die sich auch auf die ihm bekannten 30Gemeinschaftsgärten in Wien umlegen lässt. „Überall gibt es lange Wartelisten. Nur in Aspern sind Beete frei.“

Garten für den Notfall. Da hilft auch Eigeninitiative nicht immer. „Flächen für Gemeinschaftsgärten sind schwer zu finden“, sagt Stanzel. Bleibt als Notfallprogramm noch das Projekt „Garteln um's Eck“ der Stadt Wien. Dabei können gewillte Gärtner kleine öffentliche Grünflächen eigenverantwortlich mit Blumen pflanzen (Nutzpflanzen sind nicht erlaubt) und pflegen. Heuer wurde das Projekt nach dem 15. und dem zweiten auch auf die Bezirke sieben, acht und 16 ausgeweitet.

Ob die Kinder in der Schönbrunner City Farm auch einmal so kleine Stellen in der Stadt wie selbstverständlich begrünen werden? Wohl eher nicht. Sie rennen lieber zwischen den Kirschenbäumen herum. Was helfen auch die schönsten Blumen, wenn es keine Wiese zum Herumtollen gibt?

Stadtpflanzer

30 Gemeinschaftsgärten zählt der Verein Gartenpolylog derzeit in Wien. Neueröffnungen gibt es etwa im achten, dritten oder neunten Bezirk. Eine (nicht vollständige) Liste gibt es unter http://gartenpolylog.org/de/3/wien.

Acht Euro pro Person kostet etwa ein Gartenseminar im Schnitt in der „City Farm Schönbrunn“. Im Sommer finden für Kinder ganze Gartenerlebniswochen statt. Infos unter www.cityfarm.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2012)

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