Mauerfall-Feiern: Dominosteine und Politprominenz

Giant domino pieces fall in front of the Brandenburg Gate in Berlin
Giant domino pieces fall in front of the Brandenburg Gate in Berlin(c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Mit dem Kippen von 1000 Dominosteinen erreicht das "Fest der Freiheit" am Brandenburger Tor seinen Höhepunkt. Clinton, Brown, Medwedjew und viele andere feiern mit Merkel und den Deutschen.

Deutschland und die Welt haben den 20. Jahrestag des Mauerfalls mit einem rauschenden Freiheitsfest am Brandenburger Tor in Berlin gefeiert. Trotz Dauerregens strömten am Montag Zehntausende Berliner und Touristen herbei, um mit mehr als 30 aktiven und ehemaligen Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, mehreren Friedensnobelpreisträgern und zahlreichen ehemaligen Bürgerrechtlern das historische Ereignis zu würdigen.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte den Mauerfall eine der glücklichsten Stunden der deutschen und europäischen Geschichte und "einen der glücklichsten Momente meines Lebens".

Auch die Staats- und Regierungschef Frankreichs, Großbritanniens und Russlands sowie US-Außenministerin Hillary Clinton ergriffen das Wort, nachdem sie durch das Brandenburger Tor marschiert waren. US-Präsident Barack Obama wurde per Videobotschaft eingeblendet. "Es konnte keine deutlichere Zurückweisung der Tyrannei und keine stärkeres Zeichen für Freiheit geben", sagte er. Österreich wurde durch Kanzler Werner Faymann (SPÖ) vertreten.

Symbolischer Dominoeffekt

Höhepunkt der Feier war ein symbolischer Mauerfall: 1000 überdimensionale Dominosteine wurden auf einer Strecke von zwei Kilometern zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor vom Mitbegründer der Gewerkschaft Solidarnosc in Polen und späteren polnischen Präsidenten Lech Walesa und dem ehemaligen ungarischen Ministerpräsidenten Miklos Nemeth umgestoßen. Die Steine waren von Menschen in aller Welt künstlerisch gestaltet worden.

Sarkozy sagte, am 9. November 1989 habe die ganze Welt nach Berlin geschaut. "Es waren die Berliner, die die Mauer der Schande zerstört haben. Diese Mauer, die alle für unzerstörbar hielten, sie haben sie niedergerissen." Der russische Präsident Dmitri Medwedew wies darauf hin, dass die Wende in der Sowjetunion durch die Politik der Perestroika und des Glasnost vorbereitet wurde. "Von diesen Veränderungen hat ganz Europa profitiert, sagte er. "Der Eiserne Vorhang wurde überwunden und die Grenzen wurden überwunden." Clinton betonte: "Wir wissen, dass Millionen von Herzen hinter jenen standen, die wirklich die Mauer niederrissen."

Marsch über erste offene Brücke

Schon am Nachmittag ist Bundeskanzlerin Merkel ist zusammen mit dem ehemaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow, dem früheren polnischen Gewerkschafter und Staatspräsidenten Lech Walesa, Berlins regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit und ehemaligen DDR- Bürgerrechtlern über die Bornholmer Brücke in Berlin gegangen. Der Mauerfall sei das "Ergebnis einer langen Geschichte von Unfreiheit und vom Kampf gegen die Unfreiheit" gewesen, sagte die Kanzlerin in einer kurzen Ansprache auf der Brücke. "Bevor das Glück der Freiheit kam, haben viele auch gelitten."

Der Grenz-Kontrollpunkt an der Bornholmer Straße war am Abend des 9. November 1989 der erste, über den die Menschen aus Ost-Berlin in den Westen stürmten. Die Kanzlerin verbindet mit der früheren Grenzbrücke zwischen den damaligen Berliner Bezirken Prenzlauer Berg im Osten und Wedding im Westen auch persönliche Erinnerungen: Merkel war vor 20 Jahren, in der Nacht des 9. Novembers 1989, selbst über den Grenzübergang am S-Bahnhof Bornholmer Straße in den Westen gegangen.

Merkel für neue globale Ordnung

Merkel sprach sich im Rahmen der Feierlichkeiten für eine neue globale Ordnung aus. Die Nationalstaaten müssten Kompetenzen an multilaterale Organisationen abgeben, sagte Merkel. Ein friedliches Zusammenleben in der Welt werde auf Dauer nur in einer neuen globalen Ordnung möglich sein, sagte Merkel bei der Wissenschaftskonferenz "Falling Walls" in Berlin. Als Beispiel für solch eine multilaterale Organisation nannte sie die Europäische Union, die durch ihre Mitgliedsstaaten gestärkt worden sei, obwohl nicht alle Entscheidungen aus Brüssel geliebt würden. Merkel rief zu weiteren Anstrengungen auf, um die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in Ost und West zu überwinden. "Die deutsche Einheit ist noch nicht vollendet", sagte die Kanzlerin im ARD-Morgenmagazin.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) kritisierte indessen, die Rolle der früheren DDR-Bürger beim Mauerfall 1989 werde zu wenig gewürdigt. Bundespräsident Horst Köhler erinnerte auch an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938, in der zahlreiche Synagogen zerstört und jüdische Einrichtungen angegriffen wurden.

"Im Namen aller Deutschen: Danke"

Schon am späten Nachmittag dankte der deutsche Bundespräsident Horst Köhler in einer Rede vor den Staats- und Regierungschefs allen Freunden und Partnern, die den Deutschen die Wiedervereinigung in Freiheit gebracht hätten. "Im Namen aller Deutschen sage ich Ihnen: Danke, diese Nation wird das nicht vergessen", betonte Köhler.

Symbolisch soll bei der Feier in Anwesenheit von Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel die Mauer noch einmal einstürzen. Rund 1000 bemalte übermannsgroße Klötze aus Kunststoff, die den Mauerverlauf zwischen Reichstag und Potsdamer Platz nachbilden, wurden aufgestellt. Der ehemalige polnische Gewerkschaftsführer und spätere Präsident Lech Walesa sowie der frühere ungarische Ministerpräsident Miklos Nemeth sollen am Abend die ersten Steine umstoßen.

Berliner Mauer

Mehr als 28 Jahre nach dem Mauerbau hatte der SED-Funktionär Günter Schabowski am 9. November 1989 fast beiläufig die Öffnung der Grenzen verkündet. Die Mauer um den Westteil Berlins war 155 Kilometer lang. Durch das DDR-Grenzregime starben an der Berliner Mauer mindestens 136 Menschen, zumeist DDR-Flüchtlinge.

Gorbatschow: Kampf gegen Trennlinien

Der frühere sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow rief am Montag zum weltweiten Kampf für Freiheit und gegen Unterdrückung aufgerufen. "Es gibt immer neue Trennlinien in der Welt - dem muss man sich entgegenstellen", sagte der Friedensnobelpreisträger am Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Darüber hinaus forderte Gorbatschow die EU auf, sich um eine freundlichere Beziehung zu Russland zu bemühen. Eine starke EU könne nicht "auf der Basis der antirussischen Stimmung zustande kommen", sagte er.

US-Außenministerin Hillary Clinton würdigte den Fall der Mauer am Sonntagabend als eines der wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Er habe "die Landschaft eines Kontinents verändert", sagte sie bei ihrem ersten Deutschland-Besuch als Ministerin. Sie rief dazu auf, bei den Feiern zum Jahrestag des Mauerfalls den Blick nach vorn zu richten. Der Einsatz für das Ende des Kalten Krieges müsse für neue Herausforderungen wie den Kampf gegen Extremismus und Klimawandel nutzbar gemacht werden.

Außenminister Guido Westerwelle sagte, Deutschland sei dem amerikanischen Volk heute noch "sehr dankbar" für die damalige Hilfe. Die Mauer sei jedoch "nicht gefallen". "Sie wurde eingedrückt. Von Menschen, und zwar von Osten nach Westen. Sie wurde umgestürzt, abgetragen, niedergerissen, in einer friedlichen Revolution."

Feiern in Paris, London, Warschau

Auch außerhalb Deutschlands gedenken die Menschen des Mauerfalls. Auf der Pariser Place de la Concorde werden am Montagabend Tausende zu einer Licht- und Tonschau erwartet, die per Live-Schaltung mit dem Festakt in Berlin verknüpft wird. In London ziehen Künstler vor der Deutschen Botschaft eine 3,5 Meter hohe Eis-Mauer auf, die im Laufe des Montags nach und nach schmelzen soll. In Den Haag fuhren Trabi-Fans zur Feier des Tages rund um die deutsche Botschaft. Auch in Belgrad, Warschau und Madrid sind symbolische Mauer-Aktionen geplant.

Im Westjordanland wurde der Jahrestag des Falls der Berliner Mauer zum Anlass genommen, um ein Stück der israelischen Sperrmauer zum Westjordanland umzustürzen. "Heute erinnern wir an den 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer", sagte der Anführer einer Protestgruppe gegen den israelischen Sperrwall, Abdullah Abu Rahma, am Montag. Mehrere Vermummte befestigten bei Kalandiya ein zwei Meter breites Mauerstück an einem Lastwagen, der unter dem Jubel von rund 50 Menschen daran zog, bis es fiel. Einige Demonstranten warfen Steine über das Bauwerk.

Mehrere Demonstranten gelangten durch das Loch in der Mauer, die an dieser Stelle sechs Meter hoch ist, auf die israelische Seite. Dort entrollten sie eine palästinensische Flagge und steckten Reifen in Brand. Israelische Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas gegen die Demonstranten vor.

(Ag.)

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