Jet-Abschuss: Ankara schaltet Nato ein

JetAbschuss Ankara schaltet Nato
JetAbschuss Ankara schaltet Nato(c) AP (Virginia Mayo)
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Syrien bezeichnet den Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs als "Versehen", Ankara hingegen spricht empört von "aggressiver Haltung". Am Montag wollen auch die EU-Außenminister über Syrien beraten.

Nicht nur verschärft der Abschuss einer türkischen Militärmaschine durch Syrien die bereits extrem gereizten Beziehungen der beiden Nachbarn; der Zwischenfall zieht jetzt auch immer weitere internationale Kreise: Ankara will den Konflikt am Dienstag vor den Nato-Rat bringen. Der Nato-Vertrag sieht vor, dass die Verbündeten beraten, wenn einer von ihnen seine territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit bedroht sieht.

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu bestritt die syrische Darstellung des Vorfalls, wonach die Maschine über den syrischen Hoheitsgewässern nur einen Kilometer vor der Küste abgeschossen wurde. In einer Live-Sendung des staatlichen Fernsehens erklärte Davutoğlu, die Maschine hätte einen Flug zur Testung ihres Radars unternommen. Sie sei alleine und unbewaffnet gewesen. Vor dem Abschuss habe es keine Warnung gegeben.

Davutoğlu räumte allerdings ein, dass die Maschine vor dem Abschuss den syrischen Luftraum vor der Mittelmeerküste versehentlich kurz verletzt habe. Zum Zeitpunkt des Abschusses sei der Jet aber 13 Meilen vor der Küste und mithin außerhalb der syrischen Zwölfmeilenzone gewesen. Davutoğlu kündigte an, die Türkei werde „angesichts der Informationen, die wir über den Hintergrund dieser aggressiven Haltung haben, außer der Nato auch den UN-Sicherheitsrat“ einschalten. „Niemand kann es sich erlauben, die militärischen Kapazitäten der Türkei herauszufordern.“

Britische Regierung „empört“

Am Montag wollen auch die EU-Außenminister über Syrien beraten. Unterstützung bekam Davutoğlu von seinem britischen Kollegen William Hague, der den Abschuss als „empörend“ bezeichnete. Dies zeige, so Hague, wie weit sich das syrische Regime von akzeptablem Verhalten entfernt habe. Die Türkei hat mittlerweile in Damaskus offiziell gegen den Angriff protestiert.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich gestern „tief besorgt“ über den Abschuss des Kampfjets und „die möglichen ernsthaften Auswirkungen dieses Vorfalls für die Region“. Auch der Iran forderte beide Seiten zur Zurückhaltung auf. Teheran gilt als enger Verbündeter Syriens.

Mittlerweile wurden Trümmer des Jets in 1300 Meter Meerestiefe gefunden. Von den beiden Piloten fehlt allerdings jede Spur. Ankara versicherte, die Suche nach den beiden Männern laufe auf „Hochtouren“. Die syrischen Behörden würden kooperieren.

Den von Davutoğlu gezeigten Plänen über die Flugroute des Aufklärungsjets vom Typ F-4 Phantom ließ sich entnehmen, dass zumindest eine Behauptung der Syrer stimmt: dass das Flugzeug besonders tief flog, was Verdacht erweckt haben könnte.

Indessen versuchte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan die Reihen im Innern zu schließen, indem er mit Vertretern der Opposition über den Vorfall sprach. Oppositionsführer Kemal Davutoğlu hatte die türkische Regierung am Samstag zur Besonnenheit aufgerufen und eine volle Aufklärung gefordert. Der Premier will sich morgen, Dienstag, in einer Ansprache an die Bevölkerung wenden.

Ein Sprecher des syrischen Außenministeriums erklärte am Sonntag, sein Land habe sich in der Position der Verteidigung befunden. Man hege keine Feindschaft gegen die Türkei. Im Grunde wolle Syrien aber, dass die Türkei ihre Position gegenüber Syrien überdenke. Damit spielte er auf die Unterstützung der Türkei für die syrische Opposition an. Am Sonntag wurde in syrischen Medien berichtet, eine Gruppe von „Terroristen“ hätte versucht, von der Türkei aus einzudringen. Sie seien gestellt und einige getötet worden.

Die Türkei bestreitet verschiedene Medienberichte, wonach sie die syrischen Aufständischen auch bewaffnet oder zumindest die Verteilung von von Saudiarabien und Katar bezahlten Waffen auf ihrem Gebiet zulässt. Andererseits beschuldigt Ankara Syrien, Terroristen von der kurdischen PKK zu unterstützen, die gegen die Türkei kämpfen. Erst am Sonntag gab der Generalstab in einer kurzen Erklärung bekannt, türkische Jets hätten Basen der PKK an neun Stellen im Irak bombardiert.

Spionage für Opposition?

Zur Vorbereitung solcher Bombardements werden die veralteten F-4-Aufklärer der türkischen Armee eingesetzt. Dieser Einsatz erfolgt natürlich nicht über dem Mittelmeer. Theoretisch könnte das abgeschossene Flugzeug, das vor der syrischen Küste manövrierte, aber auch Informationen für die syrische Opposition gesammelt haben.

Auf einen Blick

Der Abschuss eines türkischen Kampfjets durch Syrien beschäftigt am Dienstag auf Anfrage der Regierung von Ankara auch den Nato-Rat. Grundlage ist Artikel 4 des Nato-Vertrags. Dieser sieht vor, dass die Verbündeten beraten, wenn einer von ihnen der Auffassung ist, dass seine territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit bedroht ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2012)

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