Slowakei: „Tod meines Vaters war kein Zufall“

Jiri Pelikan, Alexander Dubček
Jiri Pelikan, Alexander Dubček(c) EPA (Str)
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Alexander Dubček, Galionsfigur des Prager Frühlings, starb vor 20 Jahren nach einem Unfall. Sohn Pavol glaubt, dass der Politiker mächtigen Leuten im Weg war.

Bratislava. Vor fast genau 20 Jahren, am 7. November 1992, starb Alexander Dubček, die Galionsfigur des Prager Frühlings von 1968, an den Folgen eines Verkehrsunfalls, den bis heute Verschwörungstheorien umranken. Mit seiner Forderung nach einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ stand Dubček an der Spitze des Prager Frühlings 1968. Die Sowjetunion sah durch den Reformkurs der Prager Genossen ihren Monopolanspruch auf den einzig richtigen Weg zum Kommunismus infrage gestellt. Im August 1968 überrollten deshalb Truppen des Warschauer Pakts die Tschechoslowakei und erstickten für die nächsten zwei Jahrzehnte jeden Widerspruch.

Dubček wurde nach Moskau verschleppt und gezwungen, den sowjetischen Kurs zu akzeptieren. Nach der Wende unterlag der Slowake dem Tschechen Václav Havel bei der Kür des ersten Präsidenten der demokratischen Tschechoslowakei. Auf einer Autofahrt nach Prag verunglückte er am 1. September 1992 und starb am 7. November – zu einem Zeitpunkt, als schon viele hofften, er könnte künftiger Präsident der neu entstehenden Slowakischen Republik werden. Kein Zufall, meint nun sein Sohn Pavol Dubček im „Presse“-Interview.

Die Presse: Inwiefern war die politische Tätigkeit Ihres Vaters ein Thema in der Familie?

Pavol Dubček: Wir spürten vor allem die Konsequenzen in der Zeit der „Normalisierung“ (nach der Niederschlagung des Prager Frühlings). Die ganze Familie wurde ständig von der Polizei beobachtet. Ich durfte zwar mein Medizinstudium abschließen, aber dann nicht als Arzt in meiner Heimatstadt Bratislava (Pressburg) arbeiten. Ich musste froh sein, wenigstens in der Kleinstadt Malacky arbeiten zu können, wo genau kontrolliert wurde, mit wem ich Kontakt hatte. Denn die Mächtigen fürchteten, dass allein schon mein Name genügte, um zu viele Menschen in der slowakischen Hauptstadt mit den Ideen meines Vaters zu beeinflussen. Und meine Brüder hatten es bei ihrer Ausbildung noch schwerer.

Man wirft Ihrem Vater heute vor, dass er sich nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes dem Moskauer Diktat unterworfen habe.

Er ist ja nicht freiwillig nach Moskau gereist, um de facto seine Kapitulation zu unterschreiben. Die sind in sein Amt gekommen, haben das Telefon herausgerissen und ihn verschleppt, zuerst an einen unbekannten Ort in Polen, dann irgendwohin in einen Wald in der Ukraine. Das ist zu wenig bekannt, aber ich weiß das von ihm. Er wusste selbst nicht, ob er nicht einfach erschossen wird.

Über den Tod Ihres Vaters bei einem Verkehrsunfall 1992 gibt es bis heute Spekulationen. War der Unfall inszeniert?

Ich glaube nicht, dass das nur ein Zufall war. Vor allem hatte ich während der Untersuchungen immer das Gefühl, dass die Verantwortlichen kein Interesse an einer konsequenten Aufklärung des Unfalls hatten. Die Herstellerfirma des Unfallautos, BMW, wollte sich an der Aufklärung des Unfalls beteiligen, aber das wurde von den Prager Behörden abgelehnt. Außerdem wurde er nach dem Unfall (Anm.: am 1. September – er starb erst am 7. November) in ein Krankenhaus gebracht, das für die Behandlung seiner Art von Verletzungen nicht genügend ausgerüstet war. Mein Bemühen, ihn auf die Traumatologie-Abteilung eines anderen Krankenhauses zu bringen, wurde mit der Begründung abgewiesen, er sei nicht transportfähig.

Wer konnte Interesse am Tod Ihres Vaters haben?

Nach der Wende gab es ein riesiges Staatsvermögen zu verteilen. Gerade in den so genannten „wilden Privatisierungen“ der ersten Jahre wurden enorme Reichtümer verschoben. Da war mein Vater mit seinem Kampf für Moral in der Politik einfach im Weg.

Viele wünschten sich Ihren Vater als slowakischen Staatspräsidenten nach der damals bereits im Laufen befindlichen Aufspaltung der Tschechoslowakei. Er hätte also
manchen Privatisierungen sogar sehr aktiven Widerstand entgegensetzen können?

Das ist zu viel Spekulation. Mein Vater war ja schon fast zwei Monate tot, als die Slowakei dann wirklich selbstständig wurde. Und er strebte nie nach Funktionen, sondern wollte etwas für die Menschen tun.

Wie stand Ihr Vater zur Aufspaltung der Tschechoslowakei, die ja schon vor seinem Tod vorbereitet wurde?

Er betrachtete diese Teilung als überstürzt. Sie wurde ja innerhalb weniger Monate und ohne Referendum vollzogen. Aber dass es irgendwann zu einer Trennung kommen würde, schloss er nicht aus.

Zur Person

Pavol Dubček (64), der älteste von drei Söhnen Alexander Dubčeks, arbeitet als Chirurg in Bratislava (Pressburg). Seit mehreren Jahren ist er als Regional- und Kommunalpolitiker tätig, aber nicht in führenden Positionen. Während des Kommunismus war ihm keine berufliche Tätigkeit erlaubt worden. Er versuchte mehrfach vergeblich, den Unfalltod seines Vaters 1992 untersuchen zu lassen. [Sida]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2012)

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