Wehrexperten sagen: Der Abzug ist richtig. Die nächsten UNO-Einsätze könnten aber in gefährlichere Gegenden gehen.
Wien. „Da ist schon viel Wehmut dabei.“ Oberst Michael Bauer, Sprecher des Bundesheeres, sieht den Abzug der heimischen Truppen vom Golan mit gemischten Gefühlen. Immerhin waren die Österreicher fast 40Jahre in der militärischen Pufferzone zwischen Israel und Syrien stationiert. 26.000 Soldaten waren in dieser Zeit eingesetzt, da gibt es viele Erinnerungen.
Hinter der Entscheidung selbst steht Bauer aber. Diese sei schließlich vom Militär an die Politik herangetragen worden, nicht umgekehrt. Am Donnerstag habe sich eben durch den Zusammenschluss verschiedener Rebellengruppen und durch die Eroberung eines Grenzpostens eine neue Situation ergeben. Die Sicherheit der Soldaten sei nicht mehr gewährleistet gewesen.
Bauer vertritt die offizielle Position des Bundesheers – aber auch unabhängige Heeresexperten sind weitgehend auf dieser Linie. „Das ist grundsätzlich die richtige Entscheidung“, sagt Gerald Karner, ehemaliger Chefstratege des Bundesheers, zur „Presse“. Sein Argument: Mit dem bestehenden UNO-Mandat sei der Einsatz nicht aufrechtzuerhalten.
Die österreichischen Blauhelme sind dazu aufgerufen, den Waffenstillstand zwischen Israel und Syrien zu überwachen – nicht aber, diesen mit Waffengewalt durchzusetzen. Die Waffen dienen lediglich der Selbstverteidigung. Da die syrischen Truppen aber nicht mehr in der Lage sind, ihr eigenes Territorium zu schützen, fällt die Grundlage für den Einsatz weg. „Wir wären dort nur Spielball für die rivalisierenden Verbände“, sagt ein hochrangiger Bundesheeroffizier. Rebellen könnten verstärkt versuchen, UNO-Soldaten zu entführen, um Aufmerksamkeit zu erregen – eine nicht zu unterschätzende Gefährdung.
Änderung des Mandats anstreben
Den Abzug befürwortet auch Blauhelm-Experte Alfred Lugert. Er kritisiert aber, dass Österreich nicht rechtzeitig bei der UNO darauf hingearbeitet hätte, die Bedingungen zu ändern. Eine Änderung des Mandats oder die Einbindung von militärisch potenteren Ländern wie Frankreich und Kanada hätte zu einem Erhalt der Mission führen können, so Lugert. Freilich: Eine Änderung des Mandats von „Peacekeeping“ auf „Peace Enforcement“ ist nicht so einfach. Nicht nur der Sicherheitsrat, sondern Israel und Syrien hätten zustimmen müssen.
Eine bessere Abstimmung mit der UNO hätte sich auch der frühere Golan-Kommandant Günther Greindl gewünscht. Er glaubt auch nicht, dass der Abzug in zwei bis vier Wochen zu bewerkstelligen ist. Ein geordneter Abzug dauere sechs bis acht Wochen.
Kritik an der Entscheidung zum Abzug gibt es vereinzelt. So bezeichnete Erich Reiter, früherer Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium, den Abzug als „bedauerlich“ und „nicht nachvollziehbar“. Österreich verzichte damit auf den einzigen maßgeblichen Beitrag, den es zur Mitwirkung am Weltfrieden leiste.
„Das zeigt, wie hohl die österreichische Sicherheitspolitik ist – sobald es gefährlich wird, ziehen wir ab“, sagte Reiter. Aus militärisch-strategischer Sicht sei der Schritt nicht notwendig gewesen. Denn es sei nicht davon auszugehen, dass UNO-Soldaten direkt angegriffen würden, auch wenn sie von Kampfhandlungen betroffen sein könnten.
Reiter war ein enger Mitarbeiter des früheren FPÖ-Verteidigungsministers Herbert Scheibner (heute BZÖ). Dieser steht zwar hinter der Entscheidung für einen Abzug, „wenn die Sicherheit tatsächlich nicht mehr gewährleistet ist“. Allerdings müsse man sich die Informationen, die zur Abzugsentscheidung geführt haben, sehr genau ansehen.
Er gehe einmal davon aus, dass diese tatsächlich sehr brisant waren und die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen wurde. Doch es mache ihn stutzig, dass man plötzlich vier Wochen bis zum tatsächlichen Abzug von Golan zuwarte, so Scheibner zur „Presse“. „Wenn es wirklich so gefährlich ist, dann muss die Mission sofort beendet werden.“ Die Vorbereitungen für einen Abzug hätte man ja schon seit Wochen treffen können, dann ginge das sehr schnell. Außerdem sei interessant, dass die UNO Ersatz suche und die Mission grundsätzlich weiterführe. „Wenn es wirklich so gefährlich ist, dann muss man die Mission ganz beenden.“
Wie es nun mit den internationalen Einsätzen des Bundesheers weitergeht, ist noch offen. Immerhin ist ja der Kernpunkt der neuen Sicherheitsstrategie, die noch vor dem Sommer im Parlament beschlossen werden soll, dass friedenserhaltende Einsätze im Ausland künftig die wichtigste militärische Aufgabe des Bundesheers sind. Bis zu 1100 Soldaten sollen dabei gleichzeitig im Einsatz sein. Der Golan war nicht nur der am längsten andauernde Einsatz, sondern auch jener, bei dem die meisten österreichischen Soldaten im Ausland stationiert sind, nämlich 378. Weitere Einsatzorte sind der Libanon (150 Soldaten), Kosovo (357) und Bosnien-Herzegowina (314). Zumindest am Balkan zeichnet sich auch ein Ende des internationalen Einsatzes ab.
Afrika – eine zu große Herausforderung
Im Bundesheer will man sich über künftige Einsätze nicht äußern – das sei Aufgabe der Politik. Gedanken macht man sich intern aber schon, wo die Österreicher künftig hingehen könnten. Die UNO hat derzeit zahlreiche Einsätze in Afrika, und auch viele, bei denen die Soldaten auch in Kampfhandlungen verwickelt werden. Beides wird nicht sonderlich goutiert: Das „Peace Enforcement“ entspreche nicht der sicherheitspolitischen Linie des Landes. Und Einsätze in Afrika seien aus gesundheitlichen, klimatischen und logistischen Gründen eine zu große Herausforderung für das österreichische Bundesheer.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2013)