Parteispitze kündigte wegen des Wahlresultats den Rücktritt an. Verantwortlich gemacht wird vor allem Trittin. Zeit zur Nabelschau wird kaum bleiben, bald dürfte über eine Koalition mit der Union sondiert werden.
Berlin. Wäre Claudia Roth das doch nur vor der Bundestagswahl eingefallen! Dann wären ihr die Lacher sicher gewesen, jetzt ist es nur mehr Mitleid: Die gut genährte Grünen-Chefin deutete im ARD-Morgenmagazin auf ihren Bauch und fragte sinngemäß, ob sie denn so aussehe, als ließe sie sich vorschreiben, was sie essen dürfe.
Der propagierte „Veggie Day“ war nur einer der Unfälle in einem Wahlkampf, der für die Grünen nicht schlechter hätte laufen können und ihnen am Ende nur 8,4Prozent der Stimmen eintrug. Ein Verlust von 2,3 Prozentpunkten: Das klingt nicht nach viel, doch Verluste sind im grünen Selbstverständnis nicht vorgesehen. Und so kündigte nach einem Ergebnis, das die FDP als Triumph gefeiert hätte, die gesamte Führungsspitze der Grünen am Montag ihren Rücktritt an. Die Parteichefs Roth und Cem Özdemir ebenso wie der Parteirat, dem die Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt angehören.
Angst vor der tödlichen Umarmung
Völlig zerzaust trat Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke vor die Kamera, als habe sie keine Minute schlafen können und dann den Kamm nicht gefunden. Vom Optimismus, den sie trotz schlechter Umfragen pflichtgemäß bis zuletzt versprüht hatte, war nichts mehr übrig. Es ist auch ihre Niederlage als Parteimanagerin.
Nicht alle der heutigen Führungsfiguren dürften von der Bildfläche verschwinden. Katrin Göring-Eckardt etwa, die als Signal an das bürgerliche Lager wichtig ist und der allenfalls vorgeworfen kann, nicht die geborene Wahlkämpferin zu sein.
Für Jürgen Trittin hingegen wird es schwierig. An ihm klebt nicht nur die Pädophilie-Debatte, er ist auch für das Steuerkonzept verantwortlich, das mit seinen Erhöhungen mindestens so viele Stimmen gekostet haben dürfte. Die Jagd auf Trittin hat bereits begonnen: Werner Schulz, aus Berlin stammender Abgeordneter im Europaparlament, machte ihn direkt für die Niederlage verantwortlich. „Trittin hat sich zulasten der Grünen profiliert, hat die Finanzpolitik im Wahlkampf in den Vordergrund geschoben, weil er unbedingt Finanzminister werden wollte“, zitierte ihn „Bild“.
Doch viel Zeit für die Nabelschau gibt es nicht. Denn es dürfte bald ein Angebot der Kanzlerin ins Haus flattern. Erste Äußerungen von Trittin und Lemke ließen darauf schließen, dass man zumindest sondieren will, ob sich eine gemeinsame Grundlage findet. Dann steht den Grünen eine Zerreißprobe bevor, denn an der Basis wäre ein solches Bündnis äußerst unbeliebt. Und unter den Anhängern grassiert schon die nackte Angst, ihre Partei könnte die nächste sein, die nach SPD (2009) und FDP (2013) in der koalitionären Umarmung Merkels erstickt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2013)