Wie die Terrorgruppe IS ihre Kassen füllt

File picture shows a man working at a makeshift oil refinery site in al-Mansoura village in Raqqa
File picture shows a man working at a makeshift oil refinery site in al-Mansoura village in Raqqa(c) REUTERS (HAMID KHATIB)
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Die Extremisten des Islamischen Staats (IS) machen ihr Vermögen mit dem Verkauf von Öl, Getreide und Steuern, aber auch auf ganz modernen Wegen: etwa per Internet.

Sie haben die Wahl: Entweder zahlen Sie 250 Dollar für 50 Patronen eines Scharfschützen oder das Doppelte für acht Werfergranaten. Mit den Patronen erreichen Sie aber nur silbernen Status. Die Granaten bringen Ihnen das Goldlevel.“

Mit einem System, das an Vielfliegerprogramme erinnert, sammelt ein Dr. Abdullah bin Muhammad al Muhissini über Twitter Geld für seine „Armee der Ausländer“. Die hat dem Islamischen Staat (IS) Gehorsam geschworen. Ein Anruf genügt, und man kann mit seinem Geld am Jihad teilnehmen. Nur wenige Tage alt ist ein anderes Angebot des Scheichs auf YouTube, mit 25.000 Dollar ein ganzes Geschütz zu finanzieren.

Im Internet ist es tatsächlich einfach, Wege zu finden, um selbst extremste Gruppen zu unterstützen. Es mag ein netter Batzen sein, der so durch Kleinspenden aus aller Welt zusammenkommt. Aber gerade der IS ist darauf eigentlich nicht angewiesen: Er ist angeblich die reichste Terrorgruppe der Welt, sein Vermögen wird auf 1,6 Milliarden Euro geschätzt. Damit ist der IS reicher als die Taliban oder die Hisbollah. Monatlich soll der IS 6,3 Millionen Euro einnehmen. Ein Drittel davon wird für Strom, Wasser und soziale Dienste für die Bevölkerung der eroberten Gebiete aufgewendet, ein Drittel für die Kämpfer und öffentlichen Angestellten. Der Rest ist für Waffen und Munition.

Finanzimperium der Gottesterroristen

Die Gottesterroristen können auf ein wahres Wirtschafts- und Finanzimperium bauen, das sie innerhalb der vergangenen beiden Jahre in Syrien und dem Irak geschaffen haben. „Der IS hat von Beginn an einen Großteil seiner Energie in den Aufbau von Finanzstrukturen investiert“, erklärt Jawad al-Tamimi, IS-Spezialist der Denkfabrik des amerikanischen Middle East Forum. „Er hat eine nachhaltige Organisation entwickelt, die auf keine Spenden angewiesen ist. Das ist der große Unterschied zu anderen Rebellen in Syrien oder im Irak.“ Allerdings würde das nicht ausschließen, dass es reiche Gönner gibt; die helfen aber meist indirekt: So werden hunderte verwundete IS-Kämpfer in Krankenhäusern in der Türkei oder im Libanon behandelt. Die Kosten tragen Sponsoren in Katar oder Saudiarabien. „Das Geld kommt von dort auf unser Konto“, bestätigt der Manager eines Krankenhauses in Beirut.

Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs fließen aus den Golfländern ohnehin Millionen an eine Palette islamistischer Gruppen. Die Spuren des Geldes aus Bahrain, Kuwait, Saudiarabien, den Emiraten oder Katar zu verfolgen ist schwierig. Manche bringen es im Koffer über die Grenze(n), andere senden es mit Hawala: Das ist ein uraltes Überweisungssystem, das Millionen von Menschen, meist in Afrika und Asien, benutzen. Es funktioniert ähnlich wie bei Western Union, die als Bank Geld um den Globus verschickt. Hawala aber ist ein klein strukturiertes Netz von Geldhändlern. Das können etwa Krämer in einem Dorf in Uganda oder der Türkei sein, die per Telefon Anweisung von einem Kollegen in Europa oder vom Golf bekommen, Geld an jemanden auszuzahlen. Hawala ist der Albtraum aller Sicherheitsbehörden und Finanzämter: Unterlagen über die Transfers gibt es nicht.

Erdöl ist eine Hauptgeldquelle des IS. Im Irak soll der IS 25.000 bis 40.000 Barrel pro Tag fördern, im Wert von knapp einer Million Euro auf dem Schwarzmarkt. Öl und Benzin wird von Syrien oder dem Irak aus in den Iran, in die Autonome Region Kurdistan oder in die Türkei exportiert. Das erfolgt über viele Mittelsmänner, am Ende weiß niemand, woher das Öl stammt.

„Die Bombardierungen der Ölanlagen durch die USA werden IS finanziell sicherlich treffen“, glaubt Jihadexperte al-Tamimi. „Aber am meisten trifft es die Bevölkerung.“ Aus der Grenzregion Deir al-Zor im Osten Syriens berichten Einwohner schon von Benzinknappheit. „In einigen Orten gibt es kein Gas zum Kochen und kein Benzin“, erzählt Abu Mohammed. „In anderen Städten ist Benzin so teuer, dass man es sich nicht leisten kann. Wie soll das werden, wenn der Winter kommt?“ Für die Menschen dort ist Benzin- und Gasknappheit neu, in der Region gibt es Ölquellen. Nachdem sie bombardiert wurden, will keiner mehr die meist mobilen, improvisierten Raffinerien wieder aufbauen. Man hat Angst vor neuen Angriffen.

Schutzgeld, Raub und Bäckereien

So wichtig Erdöl für den IS auch sein mag: Seine finanzielle Basis sind Schutzgeld und ein Besteuerungssystem, das in allen eroberten Gebieten eingeführt wurde. In Mosul (Irak) hat die Terrorgruppe bereits vor ihrer Besetzung Millionen eingetrieben. „Ich musste jeden Monat 100 Dollar für meinen Telefonladen bezahlen“, erzählt Abu Said aus Mosul. „Wenn einer nicht zahlte, ließ man eine Bombe in seiner Nähe in die Luft gehen. Dann wusste er Bescheid.“

In den IS-Gebieten gibt man Schutzgeldern neuerdings einen religiösen Anstrich. Man nennt sie nach dem islamischen Steuersystem „Zakat“. Zakat wird verlangt, wenn Menschen in der Bank in Mosul Geld abheben, aber auch an Checkpoints des IS. In der syrischen Stadt Maidan kassieren IS-Kämpfer Zakat von durchfahrenden Lkw und Pkw. „Sie machen, was sie wollen“, berichtet ein Vater, dessen Frau und Tochter einen Teil ihres Schmucks hatten abgeben müssen. Im Irak kontrolliert der IS auch 40 Prozent der Getreideproduktion. Die Terroristen machen Mehl und führen Bäckereien. Der IS will nicht nur auf dem Papier ein Staat sein, sondern dem Volk beweisen, dass er wie einer agiert. Die Organisation der Nahrungsmittelkette ist dafür ein gutes Vehikel und ein lukratives Geschäft, wenn Überschüsse exportiert werden.

Geht es ums Geld, vergisst der IS auch sonst religiöse Positionen. „Mich haben sie angerufen, und gefragt, ob ich nicht zurückkehren wolle“, sagte ein yezidischer Bauer aus der Nähe von Mosul, der geflüchtet war. „Ich sollte meinen Hof wieder übernehmen. Sie würden mir Sicherheit garantieren, vorausgesetzt, ich konvertiere zum Islam und zahle 500 Dollar.“ Er lehnte ab. Erst im August hatten die Extremisten hunderte Yeziden getötet, über 1000 Frauen entführt und viele als Sklaven auf dem Markt versteigert.

Die UNO beschuldigt den IS auch, am Antiquitätenhandel beteiligt zu sein. Mit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien wurden Museen, Kirchen, Synagogen und antike Ruinen geplündert. Der IS soll Millionen dabei verdienen. „Das ist eher unwahrscheinlich“, glaubt der Syrien- und Irak-Spezialist al-Tamimi. „Der IS ist bekannt dafür, figürliche und bildliche Darstellungen als Gotteslästerung zu zerstören.“ Aber es werde toleriert, würden andere danach graben; die müssen dafür „Khums“ zahlen, nach islamischem Recht eine Kriegssteuer von 20 Prozent auf den Wert.

Trägt der „Kalif“ Rolex oder Omega?

Kleinvieh macht eben auch Mist. Dazu zählen die etwa 52 Millionen Euro, die der IS bisher für seine Geiseln kassiert haben soll. Frankreich ist dabei mit 15 Millionen Euro angeblich der Spitzenreiter, es war Lösegeld für drei Journalisten. Eine außerordentliche Extraprämie erbeuteten die Terroristen in der Bank von Mosul: 340 Millionen Euro, so heißt es, wurden dort in den Safes gefunden. Kein Wunder, dass IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi eine teure Uhr trägt, wie man auf einem Video erkennt – vermutlich eine Rolex, möglicherweise auch eine etwas günstigere Omega. Wie dem auch sei: Eine Schweizer Luxusuhr bezahlt er aus der Portokasse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2014)

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