Fall Alijew: Ein kasachisches Drama in fünf Akten

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Seit 2007 musste der kasachische Ex-Diplomat Rachat Alijew sich für zwei Morde rechtfertigen. Die verwickelte Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Mannes, der die Gunst des kasachischen Herrschers und Schwiegervaters verlor.

Wien. Durchschnittlich nehmen sich in Österreichs Gefängnissen zehn Menschen pro Jahr das Leben. Der Suizid des kasachischen Ex-Botschafters Rachat Alijew ist heuer der erste. Mit dem Tod des früheren Diplomaten in der Nacht auf Dienstag in einer Zelle in der Haftanstalt Wien-Josefstadt schließt sich ein Kreis. Denn der Fall des einst mächtigen Kasachen hielt die Republik mehr als sieben Jahre lang in Atem und zog bis ins Bundeskanzleramt und in die Präsidentschaftskanzlei seine Kreise. Nursultan Nasarbajew, der kasachische Präsident und Ex-Schwiegervater Alijews, setzte die Behörden unter massiven Druck und schickte Agenten seines Geheimdiensts Barlau aus, um den später untergetauchten „Staatsfeind Nummer eins“ ausfindig zu machen.
Der selbst ernannte Führer der Nation hatte ein Kopfgeld von zehn Millionen Euro ausgesetzt, und er schaltete eine Reihe einflussreicher österreichischer Lobbyisten ein, um den Diplomaten zu diskreditieren und dessen Auslieferung zu erreichen, wie Alijew in seinem Buch „Tatort Österreich“ behauptet.

Als Helfershelfer des kasachischen Autokraten nennt er unter anderem den ehemaligen Innenminister Karl Blecha (SPÖ) und den früheren Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP). Zudem soll Kasachstan demnach auch auf die FPÖ-Connection, auf die Abgeordneten Harald Vilimsky und Johannes Hübner, gebaut haben.

Akt 1: Der Aufstieg

Ehe er am Hofe des kasachischen Diktators Nursultan Nasarbajew in Ungnade fiel, galt Rachat Alijew als ein Geschöpf des Nepotismus im postkommunistischen System der früheren zentralasiatischen Sowjetrepublik. Die Heirat mit Dariga Nasarbajewa, der ältesten Tochter des Präsidenten, öffnete ihm alle Türen der Machtzentren in Astana, der neuen Hauptstadt Kasachstans, die Nasarbajew in ein Denkmal seiner selbst verwandelte – und deren alter Name „weißes Grab“ bedeutet.

Alijew, Mediziner und Ökonom, avancierte zum Chef der Steuerfahndung, zum Geheimdienst-Vizechef, zum Wirtschaftstycoon und zum Hauptaktionär der Nurbank – diese Rolle sollte ihm zum Verhängnis werden. Alijew erschien dem Autokraten Nasarbajew rasch als zu ehrgeizig. So kam es, dass ihn sein Schwiegervater 2002 nach der Absetzung als Vize-Geheimdienstchef als Botschafter nach Wien abschob.

Strafversetzung nach Wien

Alijews Rückkehr nach Astana sollte nicht lange währen. Nasarbajew bestellte ihn 2005 zum Vizeaußenminister, schickte ihn aber im Februar 2007 erneut nach Wien – eine Strafversetzung. Es war zum ultimativen Zerwürfnis gekommen. Der Ex-Kommunist Nasarbajew, ein gelernter Metallarbeiter, hatte die Verfassung ausgehebelt, um eine unbeschränkte Wiederwahl zu erzwingen.
In seinem Buch „The Godfather-in-Law“, einer Abrechnung mit seinem Schwiegervater, führte Alijew seinen Widerstand gegen die Verfassungsänderung als Ursache für den Bruch an. Alijew strebte 2012 selbst nach der Präsidentschaft. In Wien holte ihn nun die Affäre um den Tod zwei Nurbank-Manager ein, deren Leichen vier Jahre später auftauchten.

„Ich weiß, dass mein Ex-Schwiegervater vor nichts zurückschrecken wird, um mich zum Schweigen zu bringen“, prophezeite Alijew. Exzentrisch und brutal war Alijew indes wohl selbst. Mag die erzwungene Verheiratung seiner Geliebten Anastasia Novikova, die ein Kind von ihm erwartete, mit seinem Cousin in Wien noch mit Staatsräson zu erklären sein, wirft Novikovas spätere Ermordung einen Schatten, der – wie viele meinen – auch auf Alijew fällt. Außerdem soll der Ex-Diplomat vor 15 Jahren zwei Leibwächter des Ex-Premiers Kaschegeldin im Gefängnis gefoltert haben, um diesen zu erpressen. Grotesk scheint ein Vorfall, der sich angeblich während der Botschafterzeit in Wien abspielte: Weil der Botschaftskoch das Frühstücksei nicht entsprechend zubereitet hatte, soll ihm Alijew, so erzählt man sich noch heute, mit der Rasierklinge die Haare geschoren haben.

Akt 2: Die Morde

Am 9. Februar 2007 kam es zu jenen Morden, die nun im Zentrum der Anklage standen bzw. für die Mitangeklagten immer noch stehen. Gut siebeneinhalb Jahre nach diesem Tag sollte die Anklage fertiggestellt werden: 116 Seiten stark, ausgearbeitet von der Wiener Staatsanwältin Bettina Wallner. Demnach hatte sich das Verbrechen damals so abgespielt: In Almaty soll Alijew gemeinsam mit dem Ex-Chef des kasachischen Geheimdienstes KNB, Alnur Mussajew (61), und seinem Leibwächter K. (42) den Bankern Zholdas Timralijew und Aybar Khasenov stark sedierende Substanzen injiziert haben. Danach sollen die drei ihre Opfer mit einer Schnur erdrosselt haben. Das Trio hat dies stets bestritten. Mussajew und K. blicken nun weiterhin ihrem Mordprozess entgegen. Der soll nach Ostern starten. Bei Mussajew steht jedoch noch die Entscheidung über einen Einspruch gegen die Anklage aus.

Schwächen in der Anklageschrift?

Besonders bei dem Ex-KNB-Chef weist die Anklage Passagen auf, die als eher „dünn“ zu bezeichnen sind. So wird etwa sein mutmaßliches Mordmotiv nicht wirklich überzeugend dargestellt. Auch sorgt es bei Beobachtern für Diskussionen, dass laut Anklage das Trio die Morde persönlich und nicht durch Handlanger begangen haben soll. Bei Alijew wurde das Motiv in der Anklage – freilich endet sein Verfahren nun durch den Suizid, es galt stets die Unschuldsvermutung – klarer dargestellt. Wäre er vor Gericht gestellt worden, hätte man ihm den Vorwurf gemacht, er habe die Vergabe eines 30-Millionen-Dollar-Nurbank-Kredits an eine Khasenov-Firma als unredlich gesehen und sich selbst (Alijew war ja Nurbank-Teilhaber) als ein Betrogener gefühlt. Außerdem habe er versucht, „Vermögenswerte“ der späteren Opfer unter seine Kontrolle zu bringen.

Akt 3: Die Jagd auf Alijew

Kasachstan setzte im Frühsommer 2007 alle Hebel in Bewegung, um die Auslieferung Alijews von Österreich zu erzwingen. Tagelang standen in Schwechat zwei gecharterte Maschinen zum Abtransport bereit. Interpol hatte einen Haftbefehl gegen Alijew ausgeschrieben, und die Polizei inhaftierte den Botschafter nach einem Friseurbesuch an einem Freitagnachmittag. Österreich lehnte einen Auslieferungsantrag Kasachstans jedoch ab, weil ein faires Verfahren in Astana nicht gewährleistet sei.
Mehrmals intervenierten Nursultan Nasarbajew und Premier Massimow persönlich bei Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, einmal auch am Rande der UN-Hauptversammlung in New York. Pikante Ironie: Nach seiner Ablösung durch Werner Faymann sollte Gusenbauer gemeinsam mit Tony Blair, Gerhard Schröder oder Romano Prodi ins Beratergremium des kasachischen Potentaten aufrücken. Die Kasachen brachte auch eine Beteiligung an der damals konzipierten Nabucco-Pipeline ins Spiel. Die diplomatischen Turbulenzen waren so massiv, dass Bundespräsident Heinz Fischer 2008 in der Folge sogar eine Kasachstan-Reise absagte. Kasachische Agenten planten auf dem Höhepunkt der Affäre die Entführung eines Vertrauten Alijews, des Ex-Geheimdienstchefs Mussajew. Vergeblich versuchten die Agenten auch, den Aufenthaltsort Alijews in Wien in Erfahrung zu bringen – mithilfe von Bestechungsgeldern an Medien und Polizei.

Die Scheidung von Dariga, der Mutter von Alijews drei Kindern aus erster Ehe, ging 2007 schnell über die Bühne – übrigens gegen den Willen Alijews. In Abwesenheit verurteilte ein kasachisches Gericht den Diplomaten dann wegen mafiöser Umtriebe und eines Staatsstreichs zu 40 Jahren Haft.

Akt 4: Der Krieg der Anwälte

Im Auslieferungsverfahren, das Kasachstan 2007 – letztlich erfolglos – angestrengt hatte, konnte Alijew in der für ihn damals sicheren „Fluchtburg“ Österreich auf einen hochkarätigen Rechtsvertreter bauen. Wolfgang Brandstetter, der heutige ÖVP-Justizminister, sprang für den Ex-Botschafter in die Bresche. Brandstetter verhalf seinem Schützling in kürzester Zeit zu einer Meldeadresse in Eggenburg (Niederösterreich, Bezirk Horn) – nicht irgendwo, vielmehr war der von den Kasachen hartnäckig verfolgte Diplomat von 2007 bis 2009 in einem Haus gemeldet, das einer Gesellschaft gehörte, an der wiederum Brandstetter beteiligt war. Später, als das Strafverfahren hierzulande Gestalt annahm (Österreich hatte die Auslieferung eben mit Verweis auf mangelnde Rechtsschutzstandards in Kasachstan abgelehnt), kam es zu harten Auseinandersetzungen zwischen den Alijew-Anwälten. Brandstetter war nicht mehr an Bord. Er trat als Minister die Entscheidung über eine Alijew-Anklage an seine Berater im Justizministerium, an den sogenannten Weisenrat ab.

Wirbel um Honorar für Juristin

Auf der einen Seite standen alsdann die bekannten Verteidiger Manfred Ainedter und sein Sohn Klaus, verstärkt durch einen dritten prominenten Anwalt: Stefan Prochaska. Auf der anderen Seite trat als Opferanwalt der international gut vernetzte Topjurist Gabriel Lansky in den Ring. Als Vertreter des offiziellen Kasachstan werkt(e) der erfahrene Advokat Richard Soyer im Hintergrund. Gipfel der Streitigkeiten: Lansky wunderte sich öffentlich, „dass ausgerechnet der Vizepräsident der Wiener Anwaltskammer (Prochaska, Anm.) mit offensichtlich gefälschten Unterlagen einen Kollegen verleumden will“. Prochaska wies den Vorwurf, er verwende „gefälschte Unterlagen“, zurück. Er hatte sich auf Papiere bezogen, aus denen hervorging, dass Lansky im Zusammenspiel mit den Kasachen vorgehabt habe, mittels einer fragwürdigen PR-Agentur Druck auf Medien und Justiz zu erzeugen.

Für Aufregung sorgte auch das: Die Vizepräsidentin der Wiener Anwaltskammer, Elisabeth Rech, bekam für ihre im Auslieferungsverfahren entfaltete Tätigkeit für den später ebenfalls des Mordes beschuldigten Ex-KNB-Chef Mussajew 22.000 Euro Honorar ausgerechnet von der Kanzlei des Opferanwalts Lansky überwiesen. Lansky hoffte damals, Mussajew würde den Ort verraten, an dem die Leichen der Opfer liegen.

Akt 5: Exil und Rückkehr

Er wohnt dort, er versteckt sich nicht.“ Rachat Alijews Anwalt Manfred Ainedter zeigte sich Anfang 2013 bemüht, die Kooperationsbereitschaft seines Mandanten in den Vordergrund zu rücken. Zunächst hatte es geheißen, dass sich der Ex-Botschafter versteckt hielt – später wurde bekannt, dass sich das Versteck nicht in Österreich befand. Sondern dass er sich schon um 2009 ins Ausland abgesetzt hatte, seit 2011 soll er in Malta, später in Zypern gelebt haben. Doch sei das keinesfalls als Flucht vor den Behörden zu werten, betonte sein Anwalt. Und versprach, dass Alijew bereit sei, „sich allem zu stellen“. Also auch einem Mordprozess in Wien, der Anfang 2013 gerade in Vorbereitung war. Im Juni 2014 war es dann tatsächlich so weit – Alijew wurde am Wiener Flughafen verhaftet. Er war mit einer Maschine aus Athen angereist.

Ein belastendes Gutachten

Er sei „freiwillig“ nach Österreich gekommen, weil er „kooperieren“ wolle, teilte sein Anwalt erneut mit. Doch die Hoffnung, dass dem Kasachen dadurch etwas erspart bliebe, ging nicht auf. Schnell wurde die U-Haft verhängt. Und schon bald wurde der Druck auf Alijew immer größer. So tauchte etwa ein Gutachten über Skype-Gespräche auf, das Alijew schwer belastete. Seine Version, dass es sich bei den ihm angelasteten Morden um ein Komplott der kasachischen Führung handle, geriet dadurch ins Wanken. Und die österreichischen Behörden arbeiteten nach und nach Indizien dafür heraus, dass die Morde schlicht aus wirtschaftlichen Gründen begangen worden seien. Ende 2014 war schließlich die Mordanklage auf Schiene. April oder Mai hätte der Alijew-Prozess beginnen sollen. Doch dazu, dass Alijew vor Gericht steht, sollte es nicht mehr kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2015)

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