Grabar-Kitarović: "Ich sehe Kroatien nicht als kleines Land"

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Kroatiens Präsidentin spricht im Interview über die Flüchtlingskrise, den wachsenden Einfluss Moskaus auf dem Balkan und die Atommacht Nato als Friedensgaranten.

Die Presse: Warum ist Kroatien nicht bereit, den EU-Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge zu akzeptieren?
Kolinda Grabar-Kitarović: Ich bestreite, dass wir nicht bereit sind, Asylwerber aufzunehmen. Wir bitten bloß um Verständnis für unsere eigenen Umstände. Im Moment haben wir noch nicht die richtigen Unterkünfte. Unsere Arbeitslosigkeit liegt bei 18 Prozent, bei den Jungen sogar bei 46 Prozent.

Kroatien will also nicht die von der EU-Kommission vorgesehene Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen.
Damit ist die Regierung befasst. Ich kann nicht ins Detail gehen.

Ungarn plant, Grenzzäune zu Serbien zu errichten . . .
Wir werden so etwas sicher nicht machen.

Machen Sie sich Sorgen, dass mehr Flüchtlinge den Weg nach Kroatien nehmen könnten, wenn Ungarn Zäune hochzieht?
Wir brauchen eine Lösung für Europa. Weder Ungarn noch Kroatien noch Italien können die ganze Last der Migranten tragen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis unsere Grenzen noch stärker unter Druck kommen. Die Krisen im Irak und Syrien dauern schon eine Weile an, es könnten noch andere folgen. Wenn wir nicht an die Wurzel des Problems gehen, werden wir keine Lösung finden.

Wie wollen Sie an die Wurzel gehen? Frieden nach Syrien zu bringen, wird schwer.
Wir müssen mit anderen Schlüsselakteuren zusammenarbeiten wie den USA und auch Russland. Wir brauchen eine starke Außenpolitik und dürfen uns nicht länger bloß mit den Symptomen des Geschehens in Nordafrika und im Nahen Osten befassen.

Eine der Jihadistenrouten läuft quer über den Balkan, manchmal auch über Wien, bis nach Syrien. Beunruhigen Sie die Umtriebe in Ihrer Nachbarschaft?
Ich setze Sicherheit nie als selbstverständlich voraus, nicht bei der Rückkehr von Syrien-Kämpfern und auch nicht bei anderen Themen. Wir haben gesehen, was neulich in Mazedonien passiert ist. Man kann sich nie sicher sein. Ich will nicht alarmistisch klingen, aber wir brauchen eine starke regionale und internationale Kooperation, um die Extremisten aufzuspüren und unter Kontrolle zu halten.

Halten Sie eine positive Entwicklung auf dem Balkan für unumkehrbar?
Nein. Wir stecken irgendwo in der Mitte fest, zwischen Europas Erweiterungsmüdigkeit und südosteuropäischen Reformmüdigkeit, die im Dauerwarteraum entsteht. Eine der Folgen davon ist, dass wir Rückschläge in der Region sehen.

Wo?
Ich möchte auf niemanden mit dem Finger zeigen.

Lassen Sie uns zum Beispiel über Mazedonien reden.
Wir machen uns Sorgen um Mazedonien. Das Land wurde zu lange auf das Nebengleis gestellt. Es befindet sich in Selbstisolation. Wir müssen Mazedonien positive Signale senden. Gleichzeitig muss die mazedonische Regierung ernsthaft Reformen angehen – zum Nutzen ihrer eigenen Bevölkerung.

Aber es ist nötig, das Ziel eines EU-Beitritts vor Augen zu haben.
Absolut. Die Erweiterungsmüdigkeit bereitet mir Kopfzerbrechen. Die Ansage von EU-Kommissionspräsident Juncker, dass kein Land in seiner Amtszeit beitreten werde, entspricht aus technischen Gründen den Tatsachen; weil nicht genug Zeit ist. Aber die missverständliche Bemerkung hat die gesamte Region entmutigt.

Glauben Sie, dass Russland wegen der Erweiterungsmüdigkeit mehr Einfluss in der Region gewinnen könnte?
Ja. Ich sehe Russlands Einfluss wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und geopolitisch wachsen. Russland lehnt die Nato-Mitgliedschaft mancher Staaten ab. Wir müssen aufpassen, dass jedes einzelne Land das Recht hat, selbst zu entscheiden, ob es Mitglied der EU oder auch der Nato sein will. Dieses Prinzip müssen wir hochhalten. Im Falle der Ukraine wurde es offen verletzt. Dauerhaften Frieden, Stabilität und Prosperität kann unsere Region nur innerhalb der EU und der Nato erreichen. Das ist der richtige Rahmen, um offene Fragen zu lösen.

Die Ukraine-Krise scheint einen neuen Rüstungswettlauf ausgelöst zu haben. Die Nato schickt Panzer, Russland baut sein Atom-Arsenal aus.
Ich nenne das nicht einen Rüstungswettlauf, sondern eine legitime Verteidigung von Sicherheitsinteressen. Wenn man eine Massierung von russischen Streitkräften an der Grenze feststellt, stellt die Entschlossenheit der Nato, unsere Mitglieder zu verteidigen, die größte Abschreckung dar.

Halten Sie es denn wirklich für möglich, dass Russland seinen Hybridkrieg in ein Nato-Mitgliedsland weiterträgt?
Ich will darüber nicht spekulieren. Aber man muss auf alles vorbereitet sein. Das macht die Nato zur erfolgreichsten Allianz in der Geschichte der Welt. Wir wollen eine atomwaffenfreie Welt. Aber so lange es Atomwaffen in der Welt gibt, wird die Nato eine Atom-Allianz bleiben. Denn das ist eine Abschreckung.

Sie versuchen, Beziehungen zum Baltikum aufzubauen. Wegen der Ukraine-Krise?
Nein. Nachdem Kroatien Mitglied von EU und Nato wurde, hat es ein wenig die außenpolitische Vision verloren. Unsere Außenpolitik muss noch selbstbewusster sein. Ich sehe Kroatien nicht als kleines Land. Ein Land ist so groß, wie man es haben will. Wir befolgen nicht nur EU-Politik, wir erschaffen sie auch. Wir haben uns selbst nur in der Region Südosteuropa eingeschlossen. Ich möchte die Rolle Kroatiens ausweiten. Ich möchte das Baltikum und die Adria verbinden. Wir haben viele gemeinsame Interessen.

(''Die Presse'', Print-Ausgabe, 19.06.2015)

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