Kim Yang-gon: Nordkoreas „Stimme der Vernunft“ ist tot

Kim Yang-gon.
Kim Yang-gon.(c) REUTERS (HAN JAE-HO)
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Ein weiterer fragwürdiger Todesfall nährt Spekulationen über Machtkämpfe in Pjöngjang: Der Architekt der Entspannungspolitik soll bei einem Unfall gestorben sein. Seoul fürchtet einen Rückschlag für den innerkoreanischen Dialog.

Seoul/Tokio. Für die Befürworter des Entspannungsprozesses zwischen Nord- und Südkorea waren es schlechte Nachrichten, die am Mittwoch aus Pjöngjang, der Hauptstadt des Nordens, kamen: Der Vertraute und engste außenpolitische Berater von Diktator Kim Jong-un, Kim Yang-gon, sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, vermeldete die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA. Weitere Details waren dem Bericht nicht zu entnehmen. In Südkorea galt der Spitzenfunktionär als der „Architekt der Entspannung“ und als Stimme der Vernunft in dem abgeschotteten Regime.

Die dürftigen Informationen über die genauen Todesumstände eines weiteren Spitzenfunktionärs nähren die Spekulationen über interne Machtkämpfe im Dunstkreis des jungen Machthabers Kim. Südkoreanische Medien mutmaßten, der Spitzenfunktionär könne aus dem Weg geräumt worden sein. Zu viele mysteriöse Todesfälle hat es im innersten Machtzirkel bereits gegeben.

Übertrieben überschwänglich

Einiges spricht dafür, vor allem die selbst für nordkoreanische Verhältnisse sehr überschwängliche Würdigung des Toten. Nicht nur, dass Kim Yang-gon sehr schnell – nämlich schon an diesem Donnerstag – beerdigt wird, macht politische Beobachter in Seoul stutzig, sondern auch, dass er als Sekretär des Zentralkomitees der Partei ohne direkte Staatsfunktion ein Staatsbegräbnis unter persönlicher Leitung des Staatschefs erhält. KCNA durfte den Toten als „treuen Anhänger“ der gesamten Kim-Dynastie sowie als „liebsten und zuverlässigsten Mitstreiter“ von Jungdiktator Kim Jong-un preisen. Sein Tod sei ein „großer Verlust für das Volk“.

Immer, wenn etwas Positives zwischen den beiden Koreas auf den Weg gebracht werden konnte, stand Kim Yang-gon dahinter. Der Karrierekommunist galt innerhalb der Kim-Herrschaft als Ideengeber für die Beziehungen zum Ausland im Allgemeinen, zu Südkorea und der offiziellen Wiedervereinigungspolitik im Besonderen. So hatte er maßgeblich dazu beigetragen, dass sich 2007 der damalige Diktator Kim Jong-il mit dem damaligen südkoreanischen Präsidenten Roh Moo-hyun zum Gipfel traf.

Als Kim Jong-un nach dem Tod seines Vaters die Macht übernahm, holte er den Mann im Hintergrund in die erste Reihe und übertrug ihm heikle Aufgaben. Als Seoul Nordkorea im August für die bisher nicht endgültig aufgeklärten Minenexplosionen an der innerkoreanischen Grenze verantwortlich machte, musste Kim Yang-gon in Seoul die Wogen glätten, um den Zwischenfall nicht zu einer gefährlichen Krise eskalieren zu lassen. Zeitweilig beschossen einander beide Seiten an der Demarkationslinie mit Artillerie.

Plötzlich verschwunden

Mit seiner Dialogbereitschaft erreichte der nordkoreanische Abgesandte im Sommer, dass der Gesprächsfaden auf Arbeitsebene wieder aufgenommen wurde. Nordkorea stimmte dafür zu, mehr Familienbegegnungen zuzulassen, was im Oktober die Lage zu entspannen schien. Dann plötzlich wurden Mitte Dezember die Kontakte ergebnislos abgebrochen. Kim Yang-gon verschwand aus der Öffentlichkeit.

Sein Tod löste auch in Seoul tiefes Bedauern aus. Die südkoreanische Regierung kondolierte offiziell und würdigte dabei ausdrücklich die August-Gespräche. Nun befürchten Experten, dass der Todesfall den Prozess der Annäherung bremsen, wenn nicht sogar stoppen könnte. „Das Fehlen einer so moderaten Figur könnte Nordkorea zumindest für den Augenblick von einer einigermaßen flexiblen Politik gegenüber dem Süden abhalten“, zitiert die Nachrichtenagentur Yonhap Kim Yong-hyun, Professor an der Dongguk-Universität.

Auch Yang Moo-jin von der Universität für Nordkorea-Studien erwartet „negative Folgen für die Beziehungen“ beider Länder. Er sehe niemanden in Nordkorea, der den moderaten Kim Yang-gon bei dem riskanten Job ersetzen könnte, dem Diktator als Ratgeber für Versöhnungsvorschläge zu dienen. Chang Yong-seok, leitender Forscher am Institut für Friedens- und Wiedervereinigungsstudien an der Seouler Nationaluniversität, glaubt sogar, dass „der gesamte innerkoreanische Dialog zum Erliegen kommt“.

Zur Person

Kim Yang-gon, Jahrgang 1942, beriet Diktator Kim Jong-un in außenpolitischen Fragen – vor allem in den Beziehungen zu Südkorea. In Seoul war er als „Architekt der Entspannung“ geschätzt. Der moderate Spitzenfunktionär vermittelte im August erfolgreich im Grenzkonflikt zwischen den beiden Staaten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2015)

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