Zwischen den Bombenanschlägen von Brüssel und den Attentaten von Paris im November 2015 besteht ein direkter Konnex. In Paris sieht man Brüssels Polizeiarbeit kritisch.
Paris. Die Bewohner der französischen Hauptstadt haben auf die Anschläge in Brüssel besonders empfindlich und schockiert reagiert. Nur vier Monate sind vergangen seit den mörderischen Attentaten derselben aus Belgien operierenden Terrorzelle. Vor allem für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer der Massaker vom 13. November breche eine kaum vernarbte Wunde auf, sagt Emmanuel Dommenach, der den Anschlag im Konzertsaal Le Bataclan traumatisiert überlebt hat. Was er wie so viele Pariser verdrängen wollte, steht plötzlich wieder beängstigend und allgegenwärtig im Vordergrund: der Schatten des 13. November.
Inzwischen weiß man aus den Ermittlungen, dass die Attentate im Flughafen und in der Metro von Brüssel eine Art Fortsetzung und Konsequenz der mörderischen Aktionen in Paris und Saint-Denis waren. Sie wurden im Namen des IS von Mitgliedern derselben Gruppe verübt, zu der auch der am vergangenen Freitag verhaftete Salah Abdeslam gehörte, der vermutlich letzte noch flüchtige Tatverdächtige vom 13. November.
Sprengstoff aus einem Labor
Auch der Sprengstoff, den die Jihadisten in Frankreich und in Belgien verwendet haben, scheint aus demselben Bombenlabor zu stammen. Mehr denn je besteht eine dringende Notwendigkeit zur Zusammenarbeit im Kampf gegen diesen menschenverachtenden Terrorismus.
Im Schock über die Attentate verspürt Paris spontan eine Seelenverwandtschaft mit Brüssel. Rund 2000 Menschen versammelten sich am Dienstag gegen Ende des Nachmittags schweigend vor dem Pariser Rathaus. Einige hatten belgische Fahnen dabei, andere trugen ein kleines Schild mit der Aufschrift „Je suis Bruxelles“ – gedruckt wie im Januar 2015 der Slogan „Je suis Charlie“. Sie erinnern auf diese Weise an die Parallele und die internationale Solidaritätswelle nach dem mörderischen Attentat gegen die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ und den Anschlägen vom 13. November.
Da auch in der französischen Hauptstadt die Gefahr neuer Anschläge nicht gebannt ist, hat die Regierung nach einer Krisensitzung eine weitere Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen angekündigt – sofern dies überhaupt noch möglich ist. Denn seit den Attentaten am 13. November herrscht bereits die höchste Alarmstufe.
5000 Militärangehörige haben die Polizeipatrouillen in öffentlichen Gebäuden wie Bahnhöfen und in den Straßen verstärkt. Diese Kontrollen werden jetzt nochmals um 1600 Beamte (davon 400 in der Hauptstadtregion) ausgebaut. Wer Bahnhöfe oder Flughafengebäude betreten will, muss künftig ein Ticket oder einen Ausweis vorzeigen. Auch die Grenzkontrollen in Nordfrankreich wurden verschärft.
In die Wut und Trauer der Solidarität mischt sich aber auch gelegentlich Kritik an den belgischen Behörden. Der Vorwurf lautet, die belgische Polizei habe die Gefahren der islamistischen Radikalisierung unterschätzt und im Quartier Molenbeek ein Terroristennest entstehen lassen. So hat auch der französische Finanzminister, Michel Sapin, von einem „gewissen Leichtsinn“ gesprochen.
Der konservative Abgeordnete und frühere Antiterror-Untersuchungsrichter Alain Marsaud hat am Wochenende (vor den Terroranschlägen von Brüssel) wegen der Terroristen aus Molenbeek sogar die Beschuldigung erhoben: „Die 130 Toten von Paris verdanken wir den Belgiern!“
Paris fordert Auslieferung
Da es unter den Opfern der Attentate am Dienstag auch zehn französische Staatsangehörige gibt, hat die französische Justiz ebenfalls eine Strafuntersuchung eingeleitet. Aufgrund der offensichtlichen Verbindungen bei der Täterschaft müssen die Polizei- und Justizbehörden ohnehin eng kooperieren.
Frankreich verlangt die Auslieferung von Salah Abdeslam. Nach dessen Festnahme war die Erleichterung in Frankreich noch spürbar gewesen. Die Hoffnung auf ein absehbares Ende dieser Bedrohung war indes verfrüht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2016)